Donald Tusk soll als neuer Regierungschef möglichst schnell ein Kabinett bilden. Dies entschied der Sejm, Polens große Kammer, am Montagabend. Mit 248 zu 201 Stimmen setzte sich die bisherige Opposition klar gegen die seit acht Jahren regierende PiS von Jarosław Kaczyński und zwei noch weiter rechts stehende Parteien durch.
Kaczyński schwänzten Abstimmung
„Ich weiß nicht, wer Ihre Großeltern waren, aber eines weiß ich: Sie sind ein deutscher Agent!“, kommentierte PiS-Chef Kaczyński, bisher der starke Mann Polens, von der Rednertribüne, bevor ihm das Mikrofon abgeschaltet wurde. Schwerer dürfte indes für Kaczyński wiegen, dass zwei seiner engen Mitkämpfer sich nicht einmal mehr in den Sejm bemühten, um gegen Tusk zu stimmen, darunter der hochumstrittene EU-feindliche Justizminister Zbigniew Ziobro.
Tusk will nun bis Dienstagabend ein Kabinett und eine Regierungserklärung vorstellen. Erst dann kann er die Vertrauensfrage stellen. Dieses komplizierte Verfahren ist so in der polnischen Verfassung vorgesehen. Tusks neue Mitte-links-Regierung soll sodann am Mittwoch von Staatspräsident Andrzej Duda im Präsidentenschloss vereidigt werden.
Zuvor hatte die bisherige Opposition rund um Tusk mit 255 Neinstimmen zu 190 Ja dem dritten Kabinett von Mateusz Morawiecki sein Vertrauen nach einmonatiger Regierungszeit am Montagmittag entzogen. Eine gute Stunde lang hatte Polens designierter Premier am Montagmorgen in einer Regierungserklärung von Polens Souveränität, der bösen EU und einer angeblich neu gefundenen Hochachtung der Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) für die Belange der Opposition schwadroniert. „Wir schlafen fast ein, ich verteile deshalb Kaffee“, twittert ein Abgeordneter der Opposition aus dem Sejm. PiS unternahm auch am Montag noch einmal alles, um die Machtübernahme der bereits vor Monatsfrist gebildeten Mitte-links-Koalition unter der Führung des ehemaligen EU-Ratspräsidenten Tusk zu verhindern.
Klare Parlamentsmehrheit stützt Tusk
Zwei Monate nach der klaren Wahlniederlage der national-konservativen PiS-Regierung bei den regulären Parlamentswahlen steht somit der Weg für Tusk und seine Drei-Parteien-Koalition bestehend aus seiner Bürgerkoalition (KO), dem zentristischen „Dritten Weg“ (3D, bestehend aus Szymon Hołownias „Polska 2050“ und der Bauernpartei PSL) und der „Neuen Linken“ endlich frei.
Tusk verfügt zwar im Parlament über eine klare Mehrheit von 248 von 460 Stimmen, doch Staatspräsident Andrzej Duda hatte nach den Wahlen alle Hebel in Bewegung gesetzt, um seine politische Heimatpartei PiS möglichst lange an der Macht zu halten. So setzte er die erste Sitzung des neuen Parlaments möglichst spät an und erteilte den Auftrag zur Regierungsbildung nicht der siegreichen Opposition, sondern PiS als nominell stärkste Partei.
Dudas Ziel war einfach durchschaubar: Nicht der Volkswille zählte, sondern Polens bisher starker Mann Jarosław Kaczyński. Seine Anhänger sollten Zeit bekommen, sich mit der für sie völlig überraschenden politischen Niederlage abzufinden und den Machttransfer geordnet zu vollziehen. PiS sollte indes auch genügend Zeit haben, Akten zu vernichten und letzte Beförderungen nach dem Prinzip der PiS-typischen Vetternwirtschaft in die Wege zu leiten. Dutzende Ämter wurde so für bis zu sieben Jahre mit PiS-treuen Politikern „betoniert“. Tusk sollen damit maximal viele Steine auf dem von seiner Drei-Parteien-Koalition angestrebten Weg zu Polens Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit und als EU-freundlicher und ernst zu nehmender internationaler Partner gelegt werden.
Dabei wird Kaczyńskis bewährter Handlanger Duda wie in den letzten acht PiS-Regierungsjahren alles unternehmen, um der neuen, nun rechts-nationale Opposition zu helfen. „Ich werde es nicht zulassen, dass die Errungenschaften von acht Jahren PiS-Regierung zunichtegemacht werden“, hatte der Staatspräsident bereits am Tag nach Kaczyńskis überraschender Wahlniederlage gedroht. Mit seinem Vetorecht gegen bereits von beiden Parlamentskammern beschlossenen Gesetze hat der Staatspräsident in Polen hier ein weitreichendes Machtinstrument.
„Wir werden uns bei vielen Gesetzen gedulden müssen, bis die Amtszeit Dudas im Sommer 2025 endet“, sagt deshalb der einflussreiche 3D-Politiker Władysław Teofil Bartoszewski (PSL) bei einem persönlichen Treffen in einem Café unweit des Sejms. Bartoszewski, Sohn des großen Außenministers und deutsch-polnischen Versöhners, gibt sich optimistisch, dass die Liberalen 2025 auch den neuen Staatspräsidenten stellen können.