So kämpferisch hatte man Kevin Kühnert lange nicht erlebt. „Wir werden den Sozialstaat nicht preisgeben – weder im Ganzen noch in Teilen“, sagte der SPD-Generalsekretär zu Wochenbeginn. Zuvor hatte er schon am steuerfreien Verkauf von Immobilien nach zehn Jahren gerüttelt – ein liberales Credo. Kevin Kühnert, mittlerweile 34, klingt vor dem SPD-Parteitag am Wochenende in Berlin plötzlich wieder wie in besten Zeiten als Juso-Chef.
Zur Erinnerung: Vor vier Jahren hatte sich die SPD ebenfalls Anfang Dezember in Berlin versammelt. Kühnert hatte damals als Juso-Chef die Devise ausgegeben: „Nikolaus ist Groko-Aus.“ Es kam anders. Aber doch hat die Partei seit jenem Parteitag 2019 im Messegelände unter dem Berliner Funkturm ihren inneren Frieden. Nach einem Mitgliedervotum wurden die beiden Parteilinken Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu Vorsitzenden gekürt, Olaf Scholz fiel bei der Basis durch. Die aufgewühlte Partei aber fand nach spektakulär aufgeführten Rebellionen gegen ihre Chefs Martin Schulz und Andrea Nahles zur Ruhe und innerem Gleichgewicht. Die Basis hatte eine linke Führung gekürt, die aber fuhr einen pragmatischen Kurs. Erst in der Großen Koalition (Groko) unter Angela Merkel, dann seit 2021 unter dem SPD-Kanzler Olaf Scholz.
Zurück im Kampfmodus
Der Sieg bei der Bundestagswahl vor zwei Jahren beruhte zu großen Teilen auch auf der parteiinternen Ruhe der SPD. Selbst in turbulenten Ampel-Zeiten hielt die Partei bemerkenswert still. Weder am Kurs des Kanzlers in der Ukraine-Politik gab es laute Kritik, noch am Tempo der Transformation in ein grünes Industriezeitalter, noch an der Wende in der Migrationspolitik. Selbst Kühnert schwieg. Eine beachtliche Selbstdisziplin. Jetzt aber rumort es: „Man werde eine Partei erleben, „die den Kampf aufnimmt um die Verteidigung des Sozialstaats“, so Kühnert. Die SPD schaltet um in den Kampfmodus.
Das Urteil des Verfassungsgerichts ruft in der Partei traumatische Erinnerungen wach. Nicht nur die Union rüttelt am Bürgergeld, auch der Koalitionspartner FDP zweifelt an der Erhöhung der sozialstaatlichen Absicherung ab Jänner 2024 um gut zehn Prozent. Seit Wochen läuft eine Kampagne. Tenor: Die Sozialleistungen sind zu hoch, Geringverdiener sähen keinen Anreiz zu arbeiten, trommeln Union und Liberale. Kühnert kontert: „Wir wissen, dass der von uns gestellte Bundeskanzler keinen Haushaltsentwurf auf den Tisch legen wird, in dem der Sozialstaat zusammengestrichen wird.“ Die SPD ist zurück als Sozialstaatspartei.
Das Bürgergeld hatte die Ampel vor zwei Jahren beschlossen. Es löste Hartz-IV ab, jene Sozial-Agenda, die SPD-Kanzler Gerhard Schröder nach 2000 umsetzte. Und die Partei von sich selbst entfremdete. Die Wechsel zum Bürgergeld war eine Selbsttherapie für die Sozialdemokraten. Und die Reform gestattete einen Blick darauf, wie die Ampel hätte regieren können. Die SPD feierte die Abkehr von Hartz-IV, die Grünen sahen den Kompromiss in den Einstieg der von ihnen vorangetriebenen Kindergrundsicherung und selbst die FDP machte einen Punkt: Kinder aus Familien, die Sozialleistungen erhielten, sollten Nebenverdienste behalten dürfen. Die Liberalen feierten das als Anerkennung des Leistungsprinzips. Win-Win-Win. So schön klang das zwischen SPD, FDP und Grünen in den Anfangstagen.
Dann kam der Ukraine-Krieg und eine Zeitenwende. Nicht nur sicherheitspolitisch. Auch das Deutschland-Modell wackelt. Die Wirtschaft des Landes ist abgeschnitten vom billigen Gas aus Russland, die Auto-Industrie kämpft mit dem Übergang zur E-Mobilität. Und das Verfassungsgericht kippt den Haushalt. Plötzlich sind die Verteilungskämpfe zurück. Aber es fehlen die finanzpolitischen Mittel, um die Konflikte einfach mit Geld zu befrieden.
So ist die SPD plötzlich um Jahre zurückgeworfen. Der Parteitag streichelt die linken Seele. Doch zeigen Umfragen auch wie kippelig es um die Partei steht. Noch ist es zu früh für Richtungsdebatten. Doch gibt es Tendenzen. In Hessen hat sich die Partei nach einem schwachen Ergebnis bei der Landtagswahl der Union als Juniorpartner angedient.
„Die Lösung zum Bundeshaushalt wird nicht der SPD-Parteitag finden“, dämpfte Kühnert aber schon vor dem Parteitag den Konfliktpegel. Ruhe ist im Moment erste Genossenpflicht.