Bereits im November berichtete die Kleine Zeitung darüber, dass der Nahostkonflikt immer mehr auch auf den Campus einiger führender amerikanischer Universitäten spürbar ist und ausgefochten wird. An der Universität Berkeley wurde dem jüdischen Dekan offen vorgeworfen, Teil einer zionistischen Verschwörung zu sein. In einer ähnlich aufgeladenen Atmosphäre äußerte ein Professor der Cornell University – nur eine Woche nach dem Überfall auf Israel – öffentlich seine Begeisterung für die Aktionen der Hamas – es sei aufregend und berauschend für ihn. An derselben Universität im Bundesstaat New York wurden online Nachrichten wie „Wenn ihr eine jüdische Person auf dem Campus seht, folgt ihr und schlitzt ihr die Kehle auf“ verschickt, berichtet Amanda Silberstein, die in Cornell studiert. Cornell, wo mittlerweile das FBI eingeschaltet ist, ist nicht die einzige Ivy-League-Universität, die offensichtlich mit überbordendem Antisemitismus zu kämpfen hat. Auch 600 km weiter östlich in Boston, wo die Weltelite für technische Berufe ausgebildet wird, erheben jüdische Studentinnen und Studenten schwere Vorwürfe gegen die Leitung.

Ob und wie gegen diese Angriffe vorgegangen wird, wollte der Kongress selbst herausfinden und entschloss sich, die Präsidentinnen von Harvard, dem MIT und der University of Pennsylvania zu einer Anhörung vorzuladen. Darüber, dass sich einige Schülerinnen und Schüler unwohl fühlen, war man sich einig. Über viel mehr nicht.

„Es kann einen Verstoß darstellen“, antwortet Claudine Gay, 30. Präsidentin der Harvard University, auf die Frage der republikanischen Kongressabgeordneten Elise Stefanik, ob das Aufrufen zum Genozid gegen Juden gegen den Verhaltenskodex ihrer Universität verstößt.

Den Präsidentinnen US-amerikanischer Eliteuniversitäten wurde bei einer Anhörung im Kongress eine deutliche Frage gestellt. In ihrer Rolle als Vorständin beantworten wollte sie niemand. 

Kontextabhängige Entscheidung

„Es ist eine kontextabhängige Entscheidung“, war die Antwort von Penn-Präsidentin Liz Magill, worauf die Kongressabgeordnete irritiert reagierte: „Hängt der Aufruf zum Völkermord an den Juden vom Kontext ab? Das ist kein Mobbing oder Belästigung? Diese Frage lässt sich am einfachsten mit Ja beantworten, Frau Magill.“

Auf dieselbe Frage antwortete Harvard-Präsidentin Claudine Gay: „Wenn Reden zu Verhalten führt, ergreifen wir Maßnahmen.“ MIT-Präsidentin Sally Kornbluth sagte, solche Äußerungen würden nur dann „als Belästigung untersucht, wenn sie allgegenwärtig und schwerwiegend seien“.

„Verstehen Sie, dass Ihr Statement menschenverachtend ist?“ 

Wie in einer Schulstunde, in der die Lehrerin die Schülerin mit den Augen zur vermeintlich richtigen Antwort führen möchte, fühlt sich die Anhörung gegen Ende der Statements an. Die Kongressabgeordnete versucht, sie auf den aus ihrer Sicht richtigen Pfad zu lenken. Gelingen will es ihr nicht. Zu einer konkreteren Aussage als sinngemäß: „Es kommt darauf an“, ließ sich keine der drei Universitätsleiterinnen bringen. 

„Diese Antworten sind durchwegs inakzeptabel. Das ist der Grund, warum sie zurücktreten sollten!“, schnaubt die sichtlich erzürnte Stefanik am Ende der Anhörung in ihr Mikrofon, die bereits vor der Anhörung Gays Rücktritt fordert

Ein Grund für die zögerlichen Antworten der Präsidentinnen könnte sein, dass der Aufruf zum Genozid gegen Juden nicht verboten ist. Zumindest ist es nicht verschriftlicht. In den Verhaltenskodexen der Universitäten MIT, Columbia, Harvard und Penn State kommt das Wort Antisemitismus nicht vor, nur allgemeine Regeln, die Diskriminierung untersagen.

Und bei uns? Auch bei der Universität Graz ist Antisemitismus nicht explizit Bestandteil des Wertekompasses. Dort spricht sich die Universität aber ganz klar für ein friedliches Miteinander und gegen Diskriminierung jeder Art aus.