Auf die Ukraine kommt ein kalter Winter zu. Immer mehr Stimmen im Land werden laut, die fürchten, dass man nun kurz davor ist, den Krieg gegen den schier übermächtigen Nachbarn zu verlieren. Russland hat seine Attacken intensiviert, in der Ukraine steigt der Unmut und die Angst.
Die Unterstützung des Westens lässt nach
Hauptangriffsziel der Russen ist derzeit das Dnipro-Ufer, wo die Ukraine einen Brückenkopf errichtet hat. Zugleich gehen die Ukrainerinnen und Ukrainer davon aus, dass auch die Energieinfrastruktur in den kommenden Wochen und Monaten vermehrt unter Beschuss geraten wird. „Wir haben schon alles erlebt, uns kann nichts mehr überraschen“, zitiert ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz im Ö-1-„Morgenjournal“ einen Ukrainer. Notstromgeneratoren und Ersatzteile habe man daher bereits in den vergangenen Monaten herangeschafft.
Klar ist: Für die Ukraine wird der Kampf immer schwerer, auch weil sich im Westen erste Anzeichen von Kriegsmüdigkeit breitmachen. „Die Ukraine ist dann dabei, den Krieg zu verlieren, wenn der Westen der Ukraine nicht die notwendige Unterstützung zukommen lässt. Das ist ein Abnutzungskrieg – und der wird vor allem über Ressourcen entschieden, nicht über die Moral“, sagt etwa Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer gegenüber der „Tagesschau“. Statt der geforderten 100 bis 150 Stück der Mehrfachraketenwerfer HIMARS wurden bis heute nur 38 geliefert.
Zur Analyse von Franz-Stefan Gady
Die Ukraine versucht daher selbst Rüstungsindustrie im Land aufzubauen. Das deutsche Unternehmen Rheinmetall will schon im kommenden Jahr einen Standort in der Ukraine eröffnen, um Panzer herzustellen. Auch US-amerikanische und französische Firmen könnten sich im Kriegsgebiet niederlassen. Hinzu kommen bis zu 20 private Firmen aus der Ukraine, die sich auf Drohnen spezialisieren. „Das ist mit Abstand der größte Drohnenkrieg in der Geschichte“, sagt Wehrschütz. Der Ukraine fehle es aber derzeit teilweise an Luftabwehr. „Wenn man von 70 Drohnen 68 abfangen kann, können die zwei, die durchkommen, noch immer einen massiven Schaden hinterlassen“, sagt der ORF-Korrespondent.
Immer mehr Kritik an Selenskyj
Neben der fehlenden militärischen Infrastruktur mehrt sich auch die Kritik an Präsident Wolodymyr Selenskyj. Der Kiewer-Bürgermeister Vitali Klitschko wirft dem Präsidenten mehrere Fehler vor, unter anderem, dass man nicht gut genug auf den Krieg vorbereitet war. Wehrschütz meint, dass der Unmut im ganzen Land zunehme. Zuletzt wurde dem ehemaligen Präsidenten Petro Poroschenko verboten, nach Ungarn zu Gesprächen mit Viktor Orbán zu reisen.
Klitschko hält jedoch im Interview mit „20 Minuten“ fest: „Der Präsident hat heute eine wichtige Funktion und wir müssen ihn bis zum Kriegsende unterstützen. Aber am Ende dieses Krieges wird jeder Politiker für seine Erfolge oder Misserfolge zahlen.“