Als die israelische Luftwaffe am Wochenende wieder in Gaza angriff, zielte sie auf einen symbolträchtigen Wohnblock: Die israelischen Jets zerstörten „Hamad City“, einen Komplex aus Wohnhäusern, Geschäften und einer Moschee in der Stadt Khan Yunis. „Hamad City“ war von Katar finanziert – dem Land, das im November eine einwöchige Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas vermittelt hatte, dann aber mit dem Versuch scheiterte, die Feuerpause zu verlängern. Während die Kampfflugzeuge „Hamad City“ in Schutt und Asche legten, rief Israel sein Verhandlungsteam aus Katar nach Hause.
Katar hatte sich mit der Feuerpause international profilieren können – doch jetzt stößt das Emirat an die Grenze seines Einflusses auf Israel und die Hamas. Der Krieg ist wieder in vollem Gang. Israel wirft der Hamas vor, anders als vereinbart nicht alle Frauen und Kinder unter ihren Geiseln freigelassen zu haben. Nach israelischen Angaben hat die Terrorgruppe nach den Freilassungen während der Feuerpause noch 136 Geiseln in ihrer Gewalt, darunter 20 Frauen und zwei Kinder.
Der Hamas-Funktionär Saleh al-Arouri wies dies im katarischen Sender Al-Jazeera zurück und sagte, alle verbliebenen Geiseln in der Hand seiner Miliz seien israelische Soldaten oder Reservisten. Nur wenn Israel die Angriffe in Gaza einstelle und alle palästinensischen Häftlinge entlasse, könnten die israelischen Geiseln freikommen.
Wäre es nur um die Frage gegangen, welche Geiseln noch in Verstecken der Hamas sind, hätte Katar die Waffenruhe mit Hilfe hochkarätiger Unterhändler vielleicht retten können; vorige Woche waren die Geheimdienstchefs von Israel und den USA, David Barnea und William Burns, nach Doha gereist, um eine Verlängerung der Feuerpause zu erreichen. Doch es ging um mehr: Israel und die Hamas betrachten den Krieg vorerst als bestes Mittel, um ihre gegensätzlichen Ziele zu erreichen.
Eine neue Waffenruhe in nächster Zeit sei deshalb unwahrscheinlich, sagt Oytun Orhan von der türkischen Denkfabrik Orsam. Israel wolle die Hamas vernichten und die Hamas-Verwaltung in Gaza durch eine neue ersetzen, sagte der Nahost-Experte zu Kleinen Zeitung. Wenn es einen dauerhaften Waffenstillstand gebe, bevor diese Ziele erreicht worden seien, käme dies einer Niederlage für Israel gleich. Zudem befürchte Israel, dass die Hamas von Feuerpausen profitiere, und setzte deshalb wieder auf die militärische Karte.
Israel will Pufferzone
Die israelische Regierung hat islamische Länder wie die Türkei, Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien und die Vereinigten Arabischen Emirate laut Medienberichten darüber informiert, dass sie an der Grenze von Gaza zu Israel eine Pufferzone einrichten will, um neue Angriffe wie die Hamas-Offensive vom 7. Oktober zu verhindern. Die israelische Zeitung „Haaretz“ meldete zudem, arabische Staaten hätten Israel hinter verschlossenen Türen ihre Unterstützung für das Ziel signalisiert, die Hamas militärisch auszuschalten; auch einige arabische Staaten betrachten die Terrorgruppe als Gefahr.
Für die Hamas war die Feuerpause zwar ein Erfolg: „Sie kann die Geiseln vom 7. Oktober als Trumpfkarte einsetzen“, sagte Orhan. „Wenn es einen dauerhaften Waffenstillstand gibt, die Hamas in Gaza aber immer noch da ist, wird sie in der palästinensischen Politik zum bestimmenden Akteur.“
Doch die Hamas-Führung sieht die Zeit für einen Waffenstillstand offenbar auch noch nicht gekommen. Die Miliz hat in den ersten Wochen des Krieges schwere Verluste erlitten, ist aber immer noch fähig, Israel mit Raketen anzugreifen. Nach der Feuerpause setzt die Hamas nun darauf, dass Israel international und innenpolitisch unter steigenden Druck geraten wird und bald einem Waffenstillstand zustimmen muss. Wenn die Hamas bis dahin militärisch durchhält, hätte sie in den Augen ihrer Anhänger den Krieg gewonnen.
USA müssten Druck ausüben
Vermittler Katar kann nicht viel ausrichten, wenn beide Kriegsparteien auf dem Schlachtfeld mehr Vorteile sehen als am Verhandlungstisch. Neue Feuerpausen seien nur mit internationalem Druck denkbar, meint Orhan. Ohne Druck der USA auf Israel wird Katar es schwerhaben, eine neue Waffenruhe auszuhandeln.
Zumindest im vertraulichen Gespräch warnen US-Regierungspolitiker ihre israelischen Gesprächspartner vor einem langen Krieg. Die israelische Militärführung legte US-Außenminister Antony Blinken nach Medienberichten bei dessen jüngstem Besuch in Israel vorige Woche ihre Pläne für einen mehrmonatigen Krieg in Gaza vor. „Soviel Kredit habt ihr nicht“, antwortete Blinken demnach mit Blick auf die Stimmung in der internationalen Gemeinschaft.