Es regnet intensiv in der bulgarischen Hauptstadt Sofia. In einem Mahala – der Begriff steht vor allem in islamischen Ländern für Stadtviertel und zeugt in Bulgarien vom Einfluss des Osmanischen Reiches in der Vergangenheit – wartet Ilana* auf ihre „Gäste“. Der Begriff Stadtviertel ist in diesem Fall aber nicht zulässig, als Mahalas werden in dem EU-Mitgliedsstaat die Armenviertel bezeichnet. Wie viele es davon gibt, kann nicht genau gesagt werden, jedenfalls sind 25 Prozent davon illegal errichtet beziehungsweise gewachsen und die Mehrheit ihrer gesamt Tausenden Bewohnern gehört der Volksgruppe der Roma an. Es gibt weder Fließwasser noch Kanalisation und Straßen. „Kommen Sie nur herein. Hier wohne ich und gleich in der Nähe auch einer meiner Söhne und meine Tochter“, erzählt Ilana. In der Baracke aus Holzplatten stehen zwei Betten, der Boden ist mit Teppichen ausgelegt. Dort, wo sie den Boden nicht abdecken können, steht Wasser. Obgleich der widrigen Wohnverhältnisse versucht Ilanas Enkel Hristo* (drei Jahre alt) die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er verrenkt sich im Bett, während er immer wieder unter der Decke verschwindet und dann lachend wieder auftaucht – eine zweifelhafte Idylle.
Ausgrenzung gegenüber Volksgruppe der Roma
„Vor allem Roma und Romakinder sind von Ausgrenzung und Armut massiv betroffen“, sagt Ognjan Isaew, Direktor der Stiftung für soziale Errungenschaften. Er verweist, wie viele andere NGOs auch auf die sogenannten „Romaschulen“, wo offensichtlich bewusst nur Kinder der Minderheit eingeschult werden und wo das Niveau unter dem gängigen Standard liegt. Ein Bewusstsein dafür besteht auch seitens der Politik nicht. In einem Gespräch mit der bulgarischen Sozial- und Arbeitsministerin Ivanka Shalapatova übernimmt bei der Frage nach den „Romaschulen“ ihre Kabinettschefin Elitsa Videnova: „Derartige Zustände sind uns nicht bekannt..“
Schwierige politische Situation
Die Minister:innen der Regierung sind aber ebenfalls keineswegs zu beneiden, ist die gewählte Regierung doch die fünfte innerhalb von zwei Jahren, hat mittlerweile das zweite Misstrauensvotum im Parlament überstanden und steht vor enormen Herausforderungen. Kinderarmut, häusliche Gewalt, eine drastisch schrumpfende Bevölkerungszahl, ungleiche Bildungschancen, ein marodes Gesundheitssystem sind nur einige der Problemfelder.
„In Bulgarien gibt es kein Kinderkrankenhaus, die Säuglingssterblichkeit bei Angehörigen der Volksgruppe der Roma liegt bei fast 40 Prozent“, berichtet der Direktor des Nationalen Kindernetzwerks, Georgi Bogdanov.
Ministerin Shalapatova ist sich all der Aufgaben durchaus bewusst und betont, sich „vor allem der Kinderarmut“ annehmen zu wollen. Ob sie dazu kommen wird, ist fraglich, steht laut Regierungsabkommen in ein paar Monaten eine Umbildung der Regierung an.
Concordia-Privatstiftung nimmt sich der Probleme an
Eine Organisation, die sich der Problematiken der Menschen vor Ort annimmt, ist die gemeinnützige österreichische Privatstiftung Concordia. Sie setzt in ihren Tages- und Krisenzentren auf eine ganzheitliche Betreuung von Kindern, Jugendlichen und Familien in Not. So stehen Pädagogen, Psychologen, aber auch Streetworker zur Verfügung. Das Ziel ist die Eingliederung der Menschen in die Gesellschaft und Erweiterung der Chancen durch Bildung und Ausbildung.
Ohne die Arbeit von Concordia Bulgarien wäre niemand auf Ilana* und ihre Situation aufmerksam geworden. Sie und unzählige andere Fälle zeigen, wie wichtig die Arbeit dieser Organisation in Bulgarien ist. Die Chancen für Ilana*, den kleinen Hristo* und die restliche Familie haben sich durch den Kontakt zu Concordia schon stark erhöht.
Die Privatstiftung unterhält nicht nur in Bulgarien, sondern auch in Rumänien, der Republik Moldau und dem Kosovo ihre Einrichtungen.
Hoffnung auf besseres Leben für junge Generation
Ilana* erzählt noch lange von den Widrigkeiten ihres Lebens, von den zehn Kindern, die sie zur Welt brachte, von denen nur fünf überlebten, von der Arbeit, die ihr ein würdevolles Leben nicht möglich macht und von mangelnden Chancen und Ausgrenzung. Doch dann sagt sie: „Hristo wird eine bessere Zukunft haben, er wird einmal die Schule abschließen und es wird ihm gut gehen.“ Dieser Blick in die Zukunft ist der unermüdlichen Arbeit der Concordia Sozialprojekte geschuldet und gibt tatsächlich Hoffnung, dass solche Umstände in keinem EU-Mitgliedsstaat mehr zur Normalität zählen.
* Namen von der Redaktion geändert