Griechenlands Regierungschef Kyriakos Mitsotakis konnte es nicht glauben. Er war diese Woche auf Einladung der britischen Regierung nach London gereist. Aber kurz vor der Begegnung mit Premierminister Rishi Sunak sagte dieser das Treffen ab, mit der Begründung, Mitsotakis wolle sich offenbar nicht an eine ursprünglich getroffene Vereinbarung halten, derzufolge das Thema „Elgin Marbles“ mit keinem Wort erwähnt werden sollte in No 10 Downing Street.
Das britische Angebot, Mitsotakis könne sich statt mit dem Premier mit dessen Stellvertreter treffen, schlug der Grieche zornig aus – und flog prompt zurück nach Athen. Unversöhnliche Gefühle und unverrückbare Positionen in der Frage griechischer Kunstschätze, die sich in britischem Gewahrsam befinden, hatten bei dieser Gelegenheit zu einem regelrechten politischen Eklat geführt.
Kein Wunder: Bei den „Elgin Marbles“ handelt es sich um eine einzigartige Sammlung von Marmortafeln, Reliefs und Statuen, die im 5. Jahrhundert einmal die Tempel der Akropolis in Athen und vor allem den Parthenon zierten. Etwa die Hälfte dieser Marbles ist ausgestellt im Britischen Museum in Bloomsbury. Nach London gebracht hatte sie Anfang des 19. Jahrhunderts Lord Elgin, der damalige britische Botschafter im Osmanischen Reich.
Elgin ließ 88 Fragmente aus der Akropolis herausbrechen und sie auf eigene Rechnung heim, in die Hauptstadt des britischen Empire, schaffen. Er gab damals an, sich die Erlaubnis zum Abtragen „einer kleinen Zahl von Steinen“ von Sultan Selim III. besorgt zu haben. In London verkaufte Elgin, als ihm das Geld knapp wurde, seine marmorne Fracht an den britischen Staat, der sie dem Britischen Museum übergab.
Während aber die neuen Besitzer der kostbaren Steine fortan darauf beharrten, sie hätten die „Marbles“ „sicher verwahrt“ und aller Welt zugänglich ausgestellt, sprachen Kritiker – auch in Großbritannien – von Anfang an von einem „Raub griechischer Kunst“. Seit Griechenland unabhängig wurde, hat es „seine“ Kunstwerke denn auch nachdrücklich zurückverlangt.
Jahrzehntelang abgeblockt
So wird schon seit Jahrzehnten um den in London befindlichen Teil der „Marbles“ gerungen. Aber alle griechischen Ansprüche, wie sie etwa in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts die damalige Kulturministerin und berühmte Schauspielerin Melina Mercouri geltend machte, prallten am Nein des Vereinigten Königreichs ab. Selbst der Bau des neuen Akropolis-Museums in Athen, der den Schätzen im Jahr 2009 eine angemessene „Heimstatt“ verschaffen wollte, änderte an der unnachgiebigen Haltung Londons nichts.
Erst in den letzten Jahren hat sich auf britischer Seite bei einigen der Verantwortlichen eine gewisse Kompromissbereitschaft abgezeichnet. Der jetzige Kuratoriumsvorsitzende des Britischen Museums etwa, der frühere Tory-Finanzminister George Osborne, hat sich für den Plan erwärmt, Londons „Elgin Marbles“ oder zumindest Teile davon an Athen „auszuleihen“, solange Griechenland den Briten andere Stücke seiner reichen antiken Schätze zur Ausstellung überlässt.
Rechtlich sieht das Ganze so aus, dass das Museumsgesetz von 1963 es dem Britischen Museum grundsätzlich verbietet, etwas aus seinen Beständen wegzugeben. So etwas, heißt es im Gesetz, sei „nur unter ganz begrenzten Umständen“ erlaubt.
Osborne scheint aber gewillt, „ein Arrangement“ mit Athen auf der Basis langfristiger Leihgaben einzugehen. Und der Labour-Vorsitzende Sir Keir Starmer hat bereits erklärt, er würde einer Vereinbarung zwischen dem Britischen Museum und der griechischen Regierung „nichts in den Weg stellen“ seinerseits.
Labour-Chef emfpfing Mitsotakis
Generell wird erwartet, dass Starmer nach den Unterhauswahlen im nächsten Jahr Regierungschef sein wird in London. Er traf sich am Montag noch mit Mitsotakis, bevor dessen Termin mit Sunak abgeblasen wurde von Downing Street.
Seitens der britischen Regierung bestand man freilich fest darauf, dass alle Kunstschätze des Britischen Museums „permanent“ in dessen Beständen verbleiben müssten. Anderen Staaten, darunter mehreren Ex-Kolonien Großbritanniens, will man damit offenbar auch ein Signal senden. Erst jüngst hatte Vizepremier Oliver Dowden kategorisch verkündet: „Es ist wichtig, dass wir unsere Institutionen wie das Britische Museum oder das Victoria und Albert Museum vor einer Flut von Rückgabeforderungen schützen.“
In der Labour Party vermutet man zugleich, dass die Sunak-Abfuhr für den griechischen Regierungschef dem Zweck dienen sollte, die Tory-Regierung als besonders patriotisch herauszustreichen – und Labour den gegenteiligen Part zuzuweisen: „Mit einem Nato-Verbündeten einen Streit vom Zaun zu brechen, nur um ein paar Schlagzeilen zu erheischen, zeigt wirklich, wie schwach Rishi Sunak ist.“
Aber auch konservative Politiker wie der ehemalige Kultur-Staatssekretär Ed Vaizey, der heute dem „Parthenon“-Projekt präsidiert, fanden Sunaks Aktion ausgesprochen „merkwürdig“. Das Ganze, meinte Vaizey, habe wohl eher mit dem von der Parteirechten entfachten „Kulturkampf“ zu tun.
Sunak, berichtete der Sender Sky News am Dienstag, wolle indes nicht nur jegliche Leihgabe an Athen untersagen, sondern erwäge sogar schon eine entsprechende Verschärfung des Gesetzes. Professorin Irene Stamatoudi, eine Ex-Beraterin des griechischen Kulturministeriums, sagte der BBC, der britische Regierungschef benehme sich ganz unglaublich. Er führe sich „nicht besser als Lord Elgin“ auf.