Es gab keinen Doppelwumms in dieser Rede. Und auch keine Zeitenwende.
Nicht einmal eine finanzpolitische. Kanzler Olaf Scholz (SPD) gab sich am Dienstag im Bundestag rhetorisch zurückhaltend. „Mit dem Wissen von heute hätten wir diese Entscheidung so nicht getroffen“, sagte der deutsche Regierungschef. Das war es aber auch an Reue. Die Lage sei „rechtlich nicht eindeutig“ gewesen, rechtfertigte sich Scholz. Kurzum: Eigene Versäumnisse? Nicht bei Olaf Scholz.
Die Lage ist angespannt. Scholz’ Bundesregierung hatte einen buchhalterischen Trick vorgenommen und 60 Milliarden Euro Kreditzusagen aus Coronazeiten in den Klimafonds umgebucht. Diese Umbuchung hatte das Bundesverfassungsgericht gekippt. Nun klafft eine Lücke im Etat der Ampel. Und zwar eine dreifache. Das kleinere Problem hatte die Regierung schon am Tag vor Scholz’ Regierungserklärung gelöst. Das Kabinett verständigte sich auf einen Nachtragshaushalt für das laufende Jahr 2023. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse wird mit Blick auf die gestiegenen Energiepreise nach Russlands Überfall auf die Ukraine für ein weiteres Jahr ausgesetzt. Haushaltsnotlage heißt das in der Sprache der Fachpolitiker. Es kommt ein wenig Ordnung ins deutsche Etatchaos.
Aiwanger unterstützt Habeck
Es ist alles sehr technisch. Aber wahnsinnig politisch. Das zeigt die zweite Finanzlücke. Rund 212 Milliarden Euro umfasst der Klima- und Transformationsfonds (KTF) des Bundes. Damit soll der Übergang der deutschen Wirtschaft in eine grüne Zukunft unterstützt werden – von Stahlgewinnung mit Wasserstoff in Salzgitter über Batteriefabriken für E-Autos in Kaiserslautern bis zum Aufbau von Chipfabriken. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts fehlen dort 60 Milliarden Euro.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte sich zu Wochenbeginn mit den Kollegen aus den Bundesländern getroffen. „Alle Projekte, die wir konzipiert haben, müssen umgesetzt werden“, forderte Habeck. Unterstützung kam dabei von ungewöhnlicher Seite. „Das sind keine Spaßprojekte“, sagte Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern. Der war bislang nicht als Freund der Grünen bekannt. Aber auch er braucht das Geld vom Bund.
Bleibt die dritte Herausforderung. Der Etat für das Jahr 2024. Der hätte eigentlich am Freitag verabschiedet werden sollen. Doch ist das Projekt erst mal gestoppt. Die „nötige Ruhe und Umsicht“ versprach der Kanzler.
Schuldenbremse aussetzen?
Die wird er brauchen. SPD und Grüne sind nicht abgeneigt, die Schuldenbremse unter Verweis auf die besonderen Herausforderungen ein weiteres Mal auszusetzen. Finanzminister Christian Lindner (FDP) sieht dies kategorisch anders. Er hat die Schuldenbremse zum Kern seiner Finanzpolitik gemacht. Weitere Konflikte in der Ampel nicht ausgeschlossen.
Lindner hatte unmittelbar nach Verkündung des Urteils die Energiepreisbremse zum Jahresende ausgesetzt. Dagegen regte sich Unmut aus der SPD. Scholz ging in seiner Erklärung auf Lindner zu. Die Gasspeicher seien gut gefüllt, die Energiepreise stabil, so Scholz. Im Klartext: Lindners Entscheidung ist vertretbar. Da kam kein Beifall aus der SPD-Fraktion. Scholz verwies auf den Krieg in der Ukraine, der „über Jahre Unsicherheiten schaffe“, so Scholz. Klingt sehr nach möglicher Haushaltsnotlage. Finanzminister Lindner rollte da kurz mit den Augen.
Lindner dringt auch auf Einsparungen im Sozialetat, etwa beim Anstieg des Bürgergelds. „You’ll never walk alone“, konterte Scholz. Im Klartext. Da wird noch heftig gestritten auf dem Weg zur Finanzwende. Über Etatposten. Und das Aussetzen der Schuldenbremse.
Söder ruft nach Neuwahlen
Die Debatte spaltet da nicht nur die Ampel. Sondern auch die Opposition.
Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff plädierte ebenfalls für ein Aussetzen der Schuldenbremse. Der Mann ist in der CDU. Und er regiert in Magdeburg. Dort will der US-Chiphersteller Intel ein neues Halbleiterwerk für 30 Milliarden Euro hochziehen. Mit reichlich Geld vom Bund. So ist auch er für ein Aussetzen der Schuldenbremse. CDU-Chef Friedrich Merz lehnte das am Dienstag im Bundestag ab. Aber so sehen es auch andere Länder. CSU-Politiker Alexander Dobrindt fürchtete um Deutschlands finanzpolitisches Ansehen in Europa. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder brachte gar Neuwahlen ins Gespräch. Unwahrscheinlich.
Doch bleibt die Frage nach der politischen Verantwortung. Lindner entließ seinen Staatssekretär für Budgetfragen, Werner Gatzer. Der Mann hatte für Finanzminister wie Peer Steinbrück, Wolfgang Schäuble und Olaf Scholz die Haushalte erstellt. Nun ist Schluss. Ein Bauernopfer. Das Magazin „Spiegel“ sah die politische Verantwortung beim Kanzler.
„Absturz eines Besserwissers“ titelte das Blatt. Von Reue jedenfalls zeigte Scholz am Dienstag keine Spur.