Israel hat eine Liste mit den Namen weiterer Geiseln erhalten, die demnach an diesem Sonntag freikommen sollen. Das teilte das Büro des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu am frühen Morgen mit. Sicherheitsbeamte würden die Liste überprüfen. Wie die Nachrichtenseite „ynet“ Sonntag früh unter Berufung auf israelische Beamte berichtete, legte die Hamas Israel eine Liste von 13 Geiseln vor, die am Sonntag freigelassen werden sollen. Demnach sei zu erwarten, dass sich diesmal auch US-amerikanische Staatsbürger darunter befinden, hieß es. Am Vortag hatte die islamistische Hamas eine zweite Gruppe von insgesamt 17 Geiseln aus dem Gazastreifen freigelassen.

Nach Informationen von „ynet“ sollen dieses Mal Familienmitglieder nicht getrennt werden, wie es bei der zweiten Gruppe der Fall gewesen sei. Nachdem am Freitag eine erste Gruppe freigekommen war, befinden sich jetzt noch rund 200 Geiseln in den Händen der Hamas.

Der bewaffnete Flügel der Hamas übergab nach eigener Darstellung die zweite Gruppe von Geiseln, die vor 50 Tagen in den Gazastreifen verschleppt worden waren, am Samstagabend an das Rote Kreuz. Das gaben die Al-Qassam-Brigaden in einer Erklärung bekannt. Laut Hamas wurden 13 Israelis sowie vier ausländische Staatsangehörige übergeben. Israel bestätigte die Angaben: Die 17 Geiseln seien in Israel angekommen, erklärte die Armee.

Das Rote Kreuz habe am Samstag 13 Israelis sowie vier thailändische Staatsbürger über die Grenze nach Ägypten gebracht, teilte das israelische Militär am Abend mit. Die Hamas korrigierte später ursprüngliche Angaben über 20 Freigelassene und sprach ebenfalls von vier Ausländern, die übergeben worden seien. Sie sollen nach einer ersten medizinischen Untersuchung zunächst in Krankenhäuser in Israel geflogen werden. Dort werden sie auch ihre Familien treffen.

Vermittlungen erfolgreich

Unter den 17 freigelassenen Geiseln waren auch Verwandte von Tal Shoham, einem israelisch-österreichischen Doppelstaatsbürger, der sich weiterhin in Geiselhaft der Hamas befindet. „Die Ehefrau Adi Shoham und die Kinder Nave (8) und Yahel (3) des israelisch-österreichischen Staatsbürgers Tal Shoham wurden heute Abend freigelassen und sind nach Hause zurückgekehrt“, schrieb der israelische Botschafter in Österreich, David Roet, auf X (vormals Twitter) in der Nacht auf Sonntag. „Traurigerweise wird Tal immer noch von der Hamas festgehalten.“ Nach Angaben des deutschen Außenministeriums befanden sich vier Deutsch-Israelis unter den am Samstagabend freigelassenen Geiseln.

Nur wenige Stunden vor der Freilassung der Geiseln hatte die Hamas eine Übergabe in letzter Minute überraschend gestoppt. Als Grund nannte die Terrororganisation, dass Israel aus ihrer Sicht gegen einen Teil des Geisel-Deals verstoßen habe. Israel stellte daraufhin ein Ultimatum bis Mitternacht. Israel drohte mit einer Wiederaufnahme der Offensive im Gazastreifen, sollten die von der Hamas verschleppten Geiseln nicht bis Mitternacht freigelassen werden. Israel teilte mit, sich an das Abkommen zu halten.

US-Präsident Joe Biden sprach daraufhin am Samstag mit dem Emir von Katar, Scheich Tamim bin Hamad Al Thani, über die Verzögerung des Geiselabkommens, teilte das Weiße Haus mit. Nach Einschreiten Katars lenkte die Hamas am späten Abend ein. Im Gegenzug wurden am Abend 39 palästinensische Gefangene aus israelischen Gefängnissen entlassen werden. Sie seien in Ost-Jerusalem sowie im Westjordanland von ihren Familien empfangen worden, berichteten palästinensische Medien. Demnach handelte es sich um sechs Frauen sowie 33 männliche Jugendliche unter 19 Jahren.

Die Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas sieht vor, dass während der zunächst viertägigen Feuerpause insgesamt 50 Geiseln sowie 150 palästinensische Gefangene freikommen. Mit der Feuerpause rollte als Teil der Vereinbarung der Transport humanitärer Hilfe über den ägyptischen Grenzübergang Rafah in den Süden des Gazastreifens, um die Not der Menschen zu lindern. Der Palästinensische Rote Halbmond sprach von 196 Lastwagen. Am Samstag sollten es demnach 260 Lastwagen sein. In der Früh wurden schon Lebens- und Arzneimittel sowie Gas zum Kochen und Diesel in den Küstenstreifen geliefert.

Am Freitag, dem ersten Tag der Feuerpause zwischen Israel und der Hamas, waren insgesamt 24 Menschen freigelassen worden. Im Gegenzug wurden 39 palästinensische Frauen und Teenager aus israelischen Gefängnissen entlassen, wie das zwischen den Kriegsparteien als Vermittler fungierende Emirat Katar mitteilte. Bei dem Hamas-Großangriff auf Israel am 7. Oktober wurden etwa 240 Menschen in den Gazastreifen verschleppt.

Die am Freitag nach Israel zurückgekehrten Geiseln wurden zunächst in Krankenhäuser in der Nähe von Tel Aviv gebracht und mit ihren Familien vereint. „Kein Auge blieb trocken“, sagte eine Direktorin des israelischen Gesundheitsministeriums, Shoshy Goldberg, laut dem US-Nachrichtensender CNN auf einer Pressekonferenz vor Ort. Das israelische Militär teilte mit, dass die 24 aus dem Gazastreifen freigelassenen Menschen in „gutem Zustand“ seien.

Eine Delegation aus Katar besuchte Israel am Samstag, um die Möglichkeit einer Verlängerung der Kampfpause auszuloten. Ägypten hat eigenen Angaben zufolge positive Signale von allen Beteiligten für eine Verlängerung der Feuerpause um ein oder zwei Tage erhalten. Sein Land führe diesbezüglich intensive Gespräche, teilte Diaa Rashwan, Chef des staatlichen Informationsdienstes, mit. Damit einherginge auch die Freilassung von weiteren in Gaza festgehaltenen Geiseln und palästinensischen Häftlingen in israelischen Gefängnissen.

Überfall am 7. Oktober

Hamas-Kämpfer hatten am 7. Oktober im Süden Israels bei einem Überfall nach israelischen Angaben 1200 Menschen getötet. Daraufhin startete Israel einen groß angelegten Militäreinsatz mit dem erklärten Ziel, die Hamas zu zerstören. Israel griff den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen aus der Luft, vom Meer und am Boden an. Nach palästinensischen Angaben wurden bisher gut 14.000 Bewohner des dicht besiedelten, schmalen Küstengebiets getötet, rund 40 Prozent davon Kinder. Hunderttausende flüchteten aus ihren Häusern und Wohnungen. Viele nutzten die Feuerpause nun, um in den Trümmern nach Wertgegenständen und anderen Habseligkeiten zu suchen.