Rund um die Freilassung weiterer beim brutalen Überfall der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas auf Israel verschleppter Geiseln hat es am Samstag widersprüchliche Angaben gegeben. Der bewaffnete Arm der Hamas, die Izz el-Deen al-Qassam-Brigaden, hätte „mit der Übergabe der zweiten Gruppe“ israelischer Geiseln an das Rote Kreuz in Khan Younis begonnen, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP aus Hamas-Kreisen. Andere Agenturen dagegen berichteten über Verzögerungen.

Der bewaffnete Arm der Hamas habe beschlossen, die zweite Runde der Geiselfreilassung zu verschieben, bis Israel Lkw mit Hilfslieferungen in den Norden des Gazastreifens lasse, meldete die Nachrichtenagentur Reuters. Laut Deutscher Presseagentur dpa begründete die Hamas die Verschiebung damit, dass Israel gegen einen Teil des Abkommens verstoßen habe. In Israel war die Übergabe der Israelis gegen 15.00 Uhr MEZ erwartet worden. Mehr als eine Stunde später berichteten israelische Medien von einer „technischen“ Verzögerung. Die Hamas warf Israel vor, nicht wie vereinbart Hilfslieferungen auch in den nördlichen Teil des Gazastreifen ermöglicht zu haben. Ob dies tatsächlich Teil des von Katar vermittelten Abkommens war, war gegenwärtig unklar. In Israel war zunächst immer die Rede davon, Hilfslieferungen im Süden zu ermöglichen.

Ägyptischen Sicherheitskreisen zufolge hatte die Hamas eine Liste von 14 israelischen Frauen und Kindern übermittelt. Zur genauen Zahl der Geiseln, die am Samstag freigelassen werden sollten, hatte es auch unterschiedliche Angaben gegeben. Israelische Medien berichteten von Verhandlungen in letzter Minute darüber, ob 13 oder 14 Israeli freigelassen werden sollen. Ob die Verhandlungen auch ein Grund für die Verzögerung waren, war jedoch unklar. Das Büro des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu teilte mit, die Liste werde von Sicherheitsbehörden geprüft. Zur Zahl oder weiteren Details äußerte sich das Büro nicht. Nach Angaben israelischer Strafvollzugsbehörden wird im Gegenzug die Freilassung von 42 palästinensischen Gefangenen vorbereitet.

Am zweiten Tag der Feuerpause wurden auch immer mehr Hilfsgüter in den Gazastreifen gebracht. Samstagfrüh passierten vier Lkw mit Treibstoff von Ägypten aus den Grenzübergang Rafah in den Gazastreifen. Auf weiteren vier Lastwagen waren Gasflaschen, die zum Kochen benötigt werden, geladen. Laut dem israelischen Verteidigungsministerium wurden 50 Lkw mit Nahrungsmitteln, Wasser und Medizinbedarf sowie Ausrüstung für Unterkünfte in den Norden des Gazastreifens geschickt. Bereits am Freitag waren nach Angaben des palästinensischen Roten Halbmondes 196 Lastwagen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen gefahren. Hilfsorganisationen nutzten die Feuerpause auch, um Verletzte und medizinisches Personal in Sicherheit zu bringen.
Am Freitag, dem ersten Tag der Feuerpause zwischen Israel und der Hamas, waren insgesamt 24 Menschen freigelassen worden. Im Gegenzug wurden 39 palästinensische Frauen und Teenager aus israelischen Gefängnissen entlassen, wie das zwischen den Kriegsparteien als Vermittler fungierende Emirat Katar mitteilte. Bei dem Hamas-Großangriff auf Israel am 7. Oktober wurden etwa 240 Menschen in den Gazastreifen verschleppt.

Die israelischen Geiseln, darunter vier, die auch die deutsche Staatsangehörigkeit haben, wurden über den Grenzübergang Rafah nach Ägypten und dann nach Israel gebracht. Es handelte es sich um vier kleinere Kinder und ihre Mütter und fünf ältere Frauen. Auch zehn thailändische Landarbeiter und ein Filipino kamen frei. Nach ersten Untersuchungen sind die Geiseln den Gesundheitsbehörden zufolge körperlich in guter Verfassung.

Die Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas sieht vor, dass während der zunächst viertägigen Feuerpause insgesamt 50 Geiseln sowie 150 palästinensische Gefangene freikommen. Die Freilassung der Thailänder war einem Insider zufolge nicht Teil der Waffenruhe-Vereinbarung, sondern wurde unabhängig davon ausgehandelt - ebenfalls unter Vermittlung Katars sowie Ägyptens.
Obwohl beide Seiten erklärt haben, dass sie die Kämpfe nach dem Ende der Feuerpause wieder aufnehmen wollen, sieht US-Präsident Joe Biden eine echte Chance, sie zu verlängern. Die gegenwärtige Waffenruhe sei eine wichtige Gelegenheit, um humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu bringen. Wie lange der Krieg jedoch dauern werde, wisse er nicht.
Eine Delegation aus Katar reiste einem Insider zufolge am Samstag nach Israel, um über eine mögliche Verlängerung der Feuerpause zu verhandeln. Bei dem Besuch sei es auch um die Koordination mit Israel für einen reibungslosen Ablauf der Freilassung von weiteren Geiseln gegangen.

Ägypten hat eigenen Angaben zufolge positive Signale von allen Beteiligten für eine Verlängerung der Feuerpause um ein oder zwei Tage erhalten. Sein Land führe diesbezüglich intensive Gespräche, teilt Diaa Rashwan, Chef des staatlichen Informationsdienstes, mit. Damit einherginge auch die Freilassung von weiteren in Gaza festgehaltenen Geiseln und palästinensischen Häftlingen in israelischen Gefängnissen.

Hamas-Kämpfer hatten am 7. Oktober im Süden Israels bei einem Überfall nach israelischen Angaben 1.200 Menschen getötet. Daraufhin startete Israel einen groß angelegten Militäreinsatz mit dem erklärten Ziel, die Hamas zu zerstören. Israel griff den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen aus der Luft, vom Meer und am Boden an. Nach palästinensischen Angaben wurden bisher gut 14.000 Bewohner des dicht besiedelten, schmalen Küstengebiets getötet, rund 40 Prozent davon Kinder. Hunderttausende flüchteten aus ihren Häusern und Wohnungen. Viele nutzten die Feuerpause nun, um in den Trümmern nach Wertgegenständen und anderen Habseligkeiten zu suchen.