„Wir brauchen diesen Deal“, sagte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und packte den US-Nahost-Gesandten Brett McGurk am Arm. Mit „Deal“ meinte Netanjahu eine Verständigung zwischen Israel und der Hamas auf eine Feuerpause und einen Gefangenenaustausch in Gaza. Beim Treffen des Premiers mit McGurk am 14. November war die Abmachung nach wochenlangen Vermittlungsbemühungen von Katar fast unterschriftsreif. Doch es dauerte weitere zehn Tage, bis die Vereinbarung in Kraft treten konnte.
Das Emirat Katar gab die Grundsatzeinigung der Kriegsparteien diese Woche bekannt; zuvor hatten die Hamas und das israelische Kabinett ihre Zustimmung signalisiert. Mindestens vier Tage sollen die Waffen schweigen. Dafür lässt die Hamas 50 der mehr als 200 Geiseln frei, die sie beim Angriff auf Israel am 7. Oktober in ihre Gewalt gebracht hatte. Israel lässt im Gegenzug 150 palästinensische Häftlinge aus seinen Gefängnissen frei. Der katarische Verhandlungsführer Mohammed al-Khulaifi strebt nach den ersten vier Tagen eine tägliche Verlängerung der Feuerpause und weitere Freilassungen an. Beide Seiten müssen nach den Worten von Khulaifi die Namen der Menschen auflisten, die sie freilassen wollten.
Namenslisten verzögerten sich
Khulaifi hatte den Deal zunächst verschieben müssen, da sich die Zusammenstellung der Namenslisten verzögerte. Seit Freitag werden nun aber Geiseln gegen Gefangene getauscht. Der Weg dahin war schwierig – und bleibt es auch. Der für Samstagnachmittag geplante Austausch von 14 Geiseln gegen 42 inhaftierte Palästinenser verzögerte sich. Die Hamas warf Israel vor, die Vereinbarung gebrochen zu haben.
Video: Vater von Hamas-Geiseln nimmt Stellung
Der Weg dahin war lang und schwierig, wie Aussagen von Politikern und Experten sowie Medienberichte zeigen. Die militärisch unterlegene Hamas sei bereits vor drei Wochen zu einer Feuerpause bereit gewesen, sagt der Nahost-Experte Andreas Krieg vom Londoner King’s College. Zu dieser Zeit habe Israel aber noch geglaubt, ein Deal sei unnötig, weil die Armee die Geiseln befreien könne. Erst nachdem klar geworden sei, dass das nicht funktionieren werde, und unter dem wachsenden Druck der Angehörigen der Geiseln habe bei der Netanjahu-Regierung ein Umdenken eingesetzt, sagte Krieg der Deutschen Welle.
Katar wandte sich nach Berichten von US-Medien bereits wenige Stunden nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober vertraulich an das Weiße Haus und bot seine Vermittlung an. Das Emirat unterhält enge Kontakte zur Hamas und zum Iran, aber auch zu Israel und den USA; im September hatte Katar einen Gefangenenaustausch zwischen den USA und dem Iran organisiert.
Verhandlungen im Viereck
Nun baten die Katarer die US-Regierung, sie solle eine „Zelle“ aus wenigen Regierungsbeamten als Ansprechpartner für die geheimen Verhandlungen bilden. Als ersten Erfolg verbuchte Katar die Freilassung von zwei Amerikanerinnen am 23. Oktober. Das habe die US-Regierung überzeugt, dass ein verlässlicher Verhandlungskanal über Katar zur Hamas bestehe, meldete der Nachrichtensender CNN.
Im Verhandlungsviereck von Katar, USA, Israel und der Hamas sprach der US-Nahostgesandte McGurk mit Katars Emir Scheich Tamim bin Hamad al-Thani und Israels Premier Netanjahu, während der katarische Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman al-Thani, ein Mitglied der Herrscherfamilie, direkt mit Hamas-Chef Ismail Haniyeh konferierte; Haniyeh wohnt in der katarischen Hauptstadt Doha. Auch die amerikanischen und israelischen Geheimdienstchefs, Bill Burns und David Barnea, wurden eingeschaltet.
Obwohl die Verhandlungen auf hoher Ebene liefen, blieben sie schwierig. Nach dem Treffen McGurks mit Netanjahu am 14. November brachen die Gespräche völlig ab: Die Hamas verlangte als Bedingung für eine Fortsetzung, dass Israel seinen Angriff auf das Shifa-Krankenhaus in Gaza abblasen solle. Israel lehnte ab, sagte aber zu, dass die Klinik weiterarbeiten könne. Die Hamas erklärte sich darauf bereit, weiter zu verhandeln.
Streit über Dauer der Feuerpause
Die Gespräche zogen sich hin. Der katarische Unterhändler Khulaifi feilte mit den Konfliktparteien an einem Plan, der „Verpflichtungen für beide Seiten an jedem Tag“ der Feuerpause festschrieb, wie Khulaifi in CNN sagte. Dazu gehörten die Namenslisten der Geiseln, doch die Hamas wandte ein, dass einige Geiseln in der Gewalt von Splittergruppen an unterschiedlichen Orten in Gaza festgehalten würden und deshalb ohne vorherige Feuerpause keine Namenslisten aufgestellt werden könnten. Israel betrachtete dies als Ausrede. Erst nach neuem Druck der Katarer sagte die Palästinensergruppe zu, die Namenslisten zu besorgen.
Die Hamas bestand zudem auf einer fünftägigen Feuerpause, doch Israel wollte höchstens vier Tage akzeptieren. US-Präsident Joe Biden, für den die Freilassung der amerikanischen Geiseln aus innenpolitischen Gründen wichtig ist, setzte deshalb ein Ultimatum. Vorige Woche rief Biden den katarischen Emir Thani an und sagte, Hamas müsse sich mit vier Tagen begnügen, wie die „New York Times“ berichtet: Der Präsident habe dem Emir gesagt, die viertägige Feuerpause sei die letzte Chance für eine Einigung: „Die Zeit ist um.“
Einen Tag darauf empfing Emir Thani den US-Gesandten McGurk und besprach mit ihm die Vorlage für die sechsseitige Abmachung. Katar leitete den Entwurf anschließend an die Hamas weiter, während Netanjahus Kabinett zusammentrat, um über den Plan zu beraten. Das war der endgültige Durchbruch: Beide Kriegsparteien stimmten zu.