Der berühmteste von ihnen ist Wladislaw Kanjuss. Er hatte im Jänner 2020 in seiner Wohnung im sibirischen Kemerowo seine Ex-Freundin, eine Studentin, vergewaltigt und zu Tode geprügelt. Dabei bearbeitete er die verzweifelt um Hilfe rufende 23-Jährige stundenlang mit Hieb- und Stichwaffen. Die Bluttat machte in ganz Russland Schlagzeilen, der Mörder wurde zu 17 Jahren Straflager verurteilt. Auch mehrere Polizisten, die auf alle Alarmanrufe der Nachbarn nicht reagiert hatten, landeten hinter Gitter.
Wie jetzt bekannt wurde, hat Wladimir Putin den Täter allerdings bereits im April begnadigt. Und Kanjuss ist kein Einzelfall. Nach Aussage von Jewgenij Prigoschin, dem inzwischen toten Chef der Söldnertruppe Wagner, erließ der russische Präsident schon bis Ende März mehr als 5000 Straftätern ihre Schuld, nachdem sie für Wagner sechs Monate in der Ukraine gekämpft hatten. „Sie haben sich mit Blut reingewaschen, in Sturmbrigaden, unter Kugeln und Granaten“, sagte Kremlsprecher Dmitrij Peskow als er von Journalisten auf die Begnadigung des Mörders Kanjuss angesprochen wurde.
Kommentar
Das Oppositionsportal Agenstwo hat inzwischen 17 Begnadigungen von Kapitalverbrechern mit Fronterfahrung dokumentiert. Täter, die laut dem Portal Weltkriegsveteranen abstachen, junge Frauen zerstückelten oder sich nach einem Totschlag blutverschmiert vor dem Handy feierten.
Einer der begnadigten Verbrecher ermordete nach seiner Rückkehr eine Pensionistin, gegen zwei weitere ermittelt die Polizei wegen Mordes oder Drogenhandels. Experten befürchten daher, es werde noch viel mehr Gewaltverbrechen geben. Wladimir Ossetschkin, Leiter der Gefangenenrechts-Gruppe Gulagu.net, sagt, die „Wagner“-Truppe habe insgesamt etwa 50.000 russische Häftlinge angeworben, das Verteidigungsministerium bisher 28.000. Von diesen sind laut der Gefangenenrechtlerin Olga Romanowa mittlerweile knapp 20.000 zurückgekehrt.
Hohe Strafen für Diskreditierung von Veteranen
Die Chancen der Heimkehrer, nicht kriminell zu werden, dürften jedenfalls ähnlich gering sein, wie die Wahrscheinlichkeit, den Fronteinsatz bei den berüchtigten Sturm-Z-Truppen zu überleben. „Im Gefängnis haben sie es verlernt, friedlich in Freiheit zu leben“, schreibt die Zeitung Nowaja Gaseta. „Und ihr Hafttrauma wird noch durch das Kriegstrauma vertieft.“ Entsprechend häufen sich auch Berichte und Videos über Ukraine-Veteranen, die in der Öffentlichkeit mit Schusswaffen oder Handgranaten herumfuchteln.
Die Zahl der Gewaltverbrechen steigt nach Studien aus verschiedenen Ländern in Kriegszeiten überall. Laut Nowaja Gaseta wuchs auch in Russland die offizielle Mordrate 2022 um vier Prozent, von Jänner bis April 2023 um 15 %. Danach allerdings stürzte sie von 679 Morden und Mordversuchen im Mai auf 112 im Juni ab. Ganz offensichtlich wollten die Behördenstatistiker den Trend kaschieren.
Das geschieht nach Ansicht von Olga Romanowa auch, weil es in Russland seit März gesetzlich verboten ist, „freiwillige“ Ukraine-Kämpfer zu „diskreditieren“. Deshalb nehme die Polizei Verbrechen der Ukraine-Veteranen nur sehr ungern auf. Sehr viele Rückkehrer würden mit Drogen erwischt. „Aber sobald sie behaupten, die habe man ihnen in die Tasche geschoben, um einen Helden der Kriegsspezialoperation zu diskreditieren, lässt man sie lieber laufen.“ Für die Diskreditierung der Ukraine-Freiwilligen drohen auch Polizisten bis zu 15 Jahre Haft.