In den Niederlanden stehen die Zeichen auf Veränderung: Premier Mark Rutte zieht sich nach 13 Jahren im Amt zurück, sein Kabinett amtiert nur noch geschäftsführend, die Koalition ist zerbrochen. So entdeckt das Parlament neue Freiheiten – auch für das Klima. Das Parlament stimmte kürzlich für die Abschaffung der Subventionen für fossile Energien wie Öl und Gas. Steuervorteile von bis zu 46 Milliarden Euro sollen fallen – zumeist für Unternehmen.
Am Mittwoch wird neugewählt. Frans Timmermans setzt deshalb neue Akzente. Der Mann war als Vizechef der EU-Kommission zuständig für den „Green Deal“. Das Ziel: Klimaneutralität in Europa bis 2050. Jetzt ist er Spitzendkandidat der neuen gemeinsamen Liste von Grünen und Sozialdemokraten. 55 Prozent weniger CO₂ bis 2030, Verbrenneraus bis 2035 – das ambitionierteste Klimaprogramm, das Europa je gesehen hat – wenngleich es mittlerweile zu einem „Green Dealchen“ abgespeckt wurde. Nun möchte Timmermans Premier in Den Haag werden. Doch lassen sich in energiewendemüden Zeiten mit Klimaschutz überhaupt noch Wahlen gewinnen?
Es könnte schwierig werden. Umfragen des Instituts I&O Research belegen das. 44 Prozent der Befragten finden, die nächste Regierung müsse beim Klima mehr tun – das ist der niedrigste Wert seit 2015. „Die Wähler finden Wohnen, Gesundheit, Migration und Armutsbekämpfung wichtiger“, so die Analyse. Dazu nun noch die umstrittenen Aussagen von Klimaschutzikone Greta Thunberg zu Nahost. Noch eine Besonderheit bieten die Zahlen: Drei Viertel der Befragten sehen das Thema Klima als wichtig an. Aber zahlen für den Klimaschutz sollen erst einmal Unternehmen, sagt ein Drittel der Befragten. Weniger Treibhausgase? Ja! Mehr blechen? Nein, bloß nicht! Das Klimaparadox.
Revoltierende Bauern
In Holland kennen sie das. Im Vorjahr revoltierten Bauern gegen die Klimaziele der Regierung. Bis 2030 sollte der Stickstoffeintrag der Bauernhöfe halbiert werden. Es hagelte Protest. Caroline van der Plas kanalisierte den Unmut, ihre Bauern-Bürger-Bewegung stieg auf zur ersten Antiklimaprotestpartei in Europa. Jetzt rückt van der Plas weiter nach rechts. Im TV-Duell spricht sie mit Blick auf Migration von einem „Vulkan, der ausbricht“. Die Bauernführerin kombiniert die neue politische Verwerfungslinie zwischen Klima und Migration zum klassischen rechtspopulistischen Unmut über Eliten da oben.
Justizministerin Dilan Yesilgöz ist Spitzenkandidatin von Ruttes rechtsliberaler Partei VVD. Und sie führt im Wahlkampf gerne an, dass sie auch einmal Klimastaatssekretärin war. Grün gehört jetzt in jeden politischen Lebenslauf.
In den Niederlanden zeigt sich der neue Pragmatismus an einer neuen Debatte über Atomstrom. Der Bau zweier neuer Atommeiler ist bereits beschlossen. Yesilgöz hält an diesen Plänen fest. Timmermans ist dagegen. So emsig wird die Debatte geführt, dass sich an der Frage nach der Wahl sogar die schwierige Koalitionsdebatte entscheiden könnte. Die Atomkraft als Spalterthema ist zurück. Und lenkt ab von den eigentlichen Aufgaben beim Klimaschutz.
Die verortet Timmermans nicht nur bei der Emissionsminderung. Existenzsicherung – lautet eines seiner Schlüsselworte. Der rot-grüne Kandidat versucht, das Soziale mit dem Klima zu versöhnen. Zuschüsse für E-Autos in den Garagen der Besserverdienenden sollen fallen, staatliche Gelder sollen lieber in Solardächer im sozialen Wohnungsbau fließen. Auch ökologische Steueranreize und Klimabürgergeld sollen kommen. Das neue rot-grüne Bündnis entwickelt ein Modell für den sozial-ökologischen Wohlfahrtsstaat. Die nötigen Mittel können auch aus den gestrichenen Subventionen für Öl und Gas kommen. Doch noch handelt es sich bei dem Vorstoß nur um einen Entschließungsantrag des Parlaments. Ein entsprechendes Gesetz muss nach der Wahl folgen.