Nach den langen und schwierigen Coronajahren ist der Protestmarsch ein beeindruckendes Lebenszeichen gewesen. Knapp 80.000 Menschen waren dem Aufruf von „Fridays for Future“ (FFF) gefolgt und zogen am Sonntag vom Dam, dem zentralen Platz in der Amsterdamer Innenstadt, zum nahe gelegenen Museumplein, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. Nie zuvor waren so viele Niederländer auf die Straße gegangen, um ihren Unmut über den zu geringen Fortschritten im Kampf gegen die Erderwärmung auszudrücken.

In Erinnerung wird die Klimademonstration in Amsterdam aber wohl weniger als großes Comeback bleiben denn als jene Veranstaltung, bei der auch im großen Maßstab sichtbar wurde, wie zerrissen die Klimaschutzbewegung knapp fünf Jahre nach ihrer Entstehung hinsichtlich ihrer grundsätzlichen Ausrichtung ist. So hat neben mehreren anderen Aktivisten vor allem auch Greta Thunberg, die zentrale Identifikationsfigur der vor allem von jungen Menschen getragenen „Fridays for Future“-Bewegung, den Auftritt in Amsterdam dafür genutzt, um im Nahostkonflikt lautstark für die Palästinenser Partei zu ergreifen. Mit einem traditionellen schwarz-weißen Palästinensertuch um den Hals forderte die junge Schwedin ihr Publikum auf, „jene Stimmen zu hören, die unterdrückt sind“, um anschließend das Mikrofon an eine junge Frau zu übergeben, die von einem Völkermord durch Israel sprach. Als einer der Zuschauer auf die Bühne sprang und Thunberg an den Kopf warf, er sei für eine Klimaschutzdemonstration hergekommen und nicht, um politische Ansichten zu hören, skandierte die 20-Jährige mehrmals hintereinander: „Keine Klimagerechtigkeit auf besetztem Land.“

Früher war klar, wer Freund und wer Feind ist

Es ist nicht das erste Mal, dass Thunberg, die in den vergangenen Jahren den globalen Kampf gegen den Klimawandel wie kaum eine Zweite vorangebracht hat, sich abseits ihres Kernbereichs politisch positioniert. Thunberg legte sich in den sozialen Medien mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump und dem für seine frauenfeindlichen Aussagen bekannten früheren Kickbox-Weltmeister Andrew Tate an, nach dem russischen Überfall auf die Ukraine bezog sie klar Stellung gegen Kremlchef Wladimir Putin. Kritik gab es damals so gut wie keine, wohl auch deshalb, weil diese Themen innerhalb von „Fridays for Future“ selbst nicht kontrovers diskutiert wurden. Wer Freund und wer Feind ist, was damals allen klar.

Der Gaza-Krieg mit seinen vielen Grauschattierungen spaltet die Klimaschützer jedoch. Schon als vor ein paar Wochen auf dem internationalen Instagram-Konto der Bewegung ein Beitrag erschienen war, in dem von „westlicher Gehirnwäsche“ und „ethnischen Säuberungen“ in den palästinensischen Gebieten die Rede war, sahen sich die mächtige deutsche Zweigstelle und die österreichische FFF-Gruppierung genötigt, sich unmissverständlich zu distanzieren. „Unsere volle Solidarität gilt den Jüdinnen und Juden weltweit und wir verurteilen scharf den Terror der Hamas“, betonte Luisa Neubauer, die seit Beginn das Gesicht der Bewegung in Deutschland ist.

Dass Thunbergs Parteinahme in einem komplexen Konflikt, der mit dem Thema Klimaschutz so gut wie nichts zu tun hat, „Fridays for Future“ schadet, ist für Experten dabei offensichtlich. Dieter Rucht, der sich als Protestforscher jahrzehntelang mit sozialer Bewegung auseinandergesetzt hat, sieht im Gespräch mit der Kleinen Zeitung einen „nicht wegdiskutierbaren Reputationsverlust“ der internationalen Gruppierung, der nicht nur durch die inhaltliche Positionierung entstanden ist. „Es gibt hier auch einen negativen Effekt, weil eine Klimaschutzgruppe über ihren Themenhorizont und ihre Kompetenzen hinausgehend zu einem politischen Problem Stellung nimmt“, sagt Rucht. „Das wird als Wildern im fremden Revier wahrgenommen.“

„Thunberg ist heute nicht mehr so wichtig“

Dass es zu einer Abspaltung der eine andere Position vertretenden Ländergruppen kommt, gilt wenige Wochen vor Beginn der Weltklimakonferenz in Dubai aber dennoch als wenig wahrscheinlich. Denn schon jetzt kämpft „Fridays for Future“ mit anderen Klimaschutzgruppen wie der „Letzten Generation“ und „Extinction Rebellion“ um die knappe Aufmerksamkeit von Medien und Bürgern. Eine Aufspaltung würde da die Zugkraft nur noch weiter schmälern. Und ohnehin ist aus Sicht von Protestforscher Rucht die Person Thunberg heute nicht mehr so entscheidend wie zu Beginn. „Damals war sie wichtig als Frontfigur. Ihr Gesicht hat sich den Leuten weltweit eingeprägt und sie war ein großer Magnet, wenn es darum ging, bei Auftritten vor Ort Anhänger anzuziehen“, sagt Rucht. „Aber für das Funktionieren der Gruppe insgesamt ist sie zunehmend weniger wichtig geworden, weil die laufende Organisationsarbeit – und das ist der eigentlich zentrale Teil – von ganz anderen Leuten übernommen wird.“