Kurz vor Mitternacht kam es zur Einigung: EU-Parlament, Rat und Kommission fanden in den entscheidenden Trilogverhandlungen einen Kompromiss für das umstrittene Renaturierungsgesetz. Ausgangspunkt dafür ist der erschreckende Befund, dass nach EU-Angaben rund 80 Prozent der Lebensräume in der Europäischen Union in einem schlechten Zustand sind; zehn Prozent der Bienen- und Schmetterlingsarten sind demnach vom Aussterben bedroht und 70 Prozent der Böden in einem ungesunden Zustand. Dazu ist auch die Zahl der wild lebenden Insektenbestäuber in Europa dramatisch zurückgegangen.
Die Einigung sieht nun vor, dass bis 2030 in den EU-Ländern mindestens 30 Prozent der Lebensräume, die unter das neue Gesetz fallen, wieder hergestellt werden müssen, 60 Prozent bis 2040 und 90 Prozent bis 2050. Gemeint sind damit zum Beispiel Moorflächen, die in der Vergangenheit trockengelegt wurden, oder begradigte Flussläufe. Die Wiedervernässung der Moorflächen ist ebenfalls in einem Stufenplan festgelegt, der bis 2050 reicht. Die EU-Mitgliedsstaaten sollen dafür nationale Sanierungspläne vorlegen, „Natura 2000“-Gebiete bekommen dabei Vorrang. Drei Indikatoren (der „Grünland-Schmetterlingsanteil“, der Anteil landwirtschaftlich genutzter Flächen mit artenreichen Landschaftsmerkmalen und der Bestand an organischem Kohlenstoff in den mineralischen Böden der Ackerflächen) sollen als Basis dienen. Mindestens zwei davon sollen bis 2030 eine positive Entwicklung aufweisen, die dann alle sechs Jahre überprüft wird.
Drei Milliarden Bäume pflanzen
Bis 2030 müssen die EU-Länder Maßnahmen ergreifen, um einen positiven Trend bei mehreren Indikatoren für Waldökosysteme zu erreichen. Gleichzeitig müssen in der EU zusätzlich drei Milliarden Bäume gepflanzt und mindestens 25.000 km Flüsse wieder in frei fließende Flüsse umgewandelt werden. Die EU-Länder stellen außerdem sicher, dass es bis 2030 im Vergleich zu 2021 keinen Nettoverlust an der gesamten nationalen Fläche städtischer Grünflächen und der städtischen Baumkronenbedeckung in städtischen Ökosystemgebieten gibt. Nach 2030 müssen sie diese Zahl erhöhen, wobei der Fortschritt alle sechs Jahre gemessen werden muss.
Das neue Gesetz war vor allem von den Bauern und damit auch von EVP-Abgeordneten abgelehnt worden, entsprechend fielen auch die Reaktionen auf die Einigung aus. „Es ist falsch, dass immer unsere bäuerlichen Betriebe ausbaden müssen, was Fossilindustrie und Weltpolitik anrichten“, kritisierte etwa Landwirtschaftskammer-Österreich-Präsident Josef Moosbrugger. „Die Auswirkungen für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit sind kaum abschätzbar. Angesichts der weltweiten Krisen und Herausforderungen in der Lebensmittelversorgung jetzt noch weitere Belastungen zu beschließen, ist unverantwortlich“, argumentierte auch der ÖVP-Umweltsprecher im Europaparlament, Alexander Bernhuber. Roman Haider, EU-Abgeordneter der FPÖ, spricht von einer „Gefahr für die Land- und Forstwirtschaft insgesamt“.
Wissenschaft begrüßt die Einigung
Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) sieht den Kompromiss zur Wiederherstellung der Natur grundsätzlich positiv, die „destruktiven Kräfte haben sich nicht durchgesetzt“, richtete sie ihren Koalitionspartnern aus. SPÖ-EU-Abgeordneter Günther Sidl freute sich über einen „Meilenstein“. Sowohl WWF Österreich als auch der Umweltdachverband begrüßten die Entscheidung, warnten aber vor Schlupflöchern, der Kompromiss sei bereits stark verwässert worden. Von der Wissenschaft wird der Beschluss begrüßt. Katrin Böhning-Gaese, Ökologin an der Universität Frankfurt: „Das ist die wichtigste Maßnahme für die Natur seit dem Natura-2000-Beschluss im Jahr 1992.“ Mit dem nun ausgehandelten Kompromiss werden Landwirte künftig nicht verpflichtet sein, einen bestimmten Prozentsatz ihres Landes für umweltfreundliche Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, was Bauern befürchtet hatten.