Nach dem Untergang eines Schiffs mit Migranten an Bord vor Griechenland haben die Behörden einem Insider zufolge neun Personen festgenommen.
Echte Drahtzieher nur schwer fassbar
Es ist zu vermuten, dass weitere Drahtzieher hinter dem Schlepper-Netzwerk nicht geschnappt werden. Der Asylrechtsexperte Lukas Gahleitner-Getz spricht im Kleinen Zeitung-Gespräch davon, dass oft nur wenige Köpfe der kriminellen Banden von der Polizei geschnappt werden.
Bei den nun festgenommenen Personen handle es sich um Ägypter, denen die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Menschenschmuggel und ein Schiffsunglück angelastet werde, sagte ein Vertreter des griechischen Schifffahrtsministeriums am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters.
In der griechischen Hafenstadt Kalamata spielten sich am Donnerstagmorgen tragische Szenen ab. Viele der überlebenden Migranten suchten dort nach ihren Angehörigen. Verzweifelt hielten sie den Hilfskräften Handyfotos der Betreffenden vor, meist ohne Erfolg.
Küstenwache brachten Leichen an Festland
Die meisten konnten offensichtlich nicht rechtzeitig das rund 30 Meter lange und verrostete Boot verlassen, als es Mittwochfrüh rund 50 Seemeilen (rund 92 Kilometer) vor der südwestlichen Küste Griechenlands kenterte und unterging. Unter den Menschen an Bord sollen zahlreiche Kinder gewesen sein.
Schiffe der griechischen Küstenwache und Kriegsmarine brachten bisher die Leichen von 79 Menschen zum südgriechischen Hafen von Kalamata. Die 104 Überlebenden wurden zunächst in Zelten im Hafen dieser Hafenstadt untergebracht. Am Donnerstag und Freitag sollen sie in ein Flüchtlingslager nahe Athen gebracht werden. Zudem ist die Überführung der Toten nach Athen angelaufen, wie der Staatssender ERT berichtete. Dort sollen DNA-Proben genommen werden, um die Menschen zu identifizieren. 26 von ihnen hätten im Krankenhaus hauptsächlich wegen Unterkühlung behandelt werden müssen, teilten die Behörden mit.
"Menschen zusammengepfercht"
"An Deck des Schiffes waren die Menschen zusammengepfercht, das Gleiche vermuten wir auch für den Innenraum", sagte ein Sprecher der Küstenwache dem Staatssender ERT. "Die Zahl ist in jedem Fall sehr hoch." Die Behörden hatten zunächst unter Berufung auf Überlebende des Unglücks von gut 400 Menschen gesprochen. Die griechische Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou, die am Vormittag in die Hafenstadt Kalamata zu den Rettungsarbeiten gereist war, sagte: "Wir werden wohl nie erfahren, wie viele Menschen wirklich an Bord waren."
Griechische Medien veröffentlichten am Mittwochabend erstmals Bilder der griechischen Küstenwache von dem mit Migranten überfüllten Unglücksboot. Sie zeigen, dass sich allein schon an Deck des verrosteten Fischkutters bis zu 200 Menschen drängten. Auszumachen sind ein weiteres Zwischendeck und der Rumpf. Griechische Medien berichteten, bei den 104 geretteten Menschen handle es sich ausschließlich um Männer. Die übrigen Passagiere, darunter nach Angaben der Überlebenden auch schwangere Frauen und viele Kinder, sollen sich unter Deck aufgehalten und beim schnellen Sinken des Bootes keine Chance gehabt haben, sich nach draußen zu retten.
Nach Angaben der Geretteten war das Boot von der libyschen Stadt Tobruk aus in See gestochen. Unter den Passagieren seien Menschen aus Syrien, Pakistan, Afghanistan und Ägypten gewesen. Schon am Dienstag hatten italienische Behörden die griechischen Nachbarn über ein voll besetztes Fischerboot im griechischen Such- und Rettungsbereich informiert. Die Küstenwache und vorbeifahrende Frachter hätten den Passagieren per Funk wiederholt Hilfe angeboten. Diese hätten jedoch abgelehnt, sagte ein Sprecher der griechischen Küstenwache. Stattdessen hätten sie angegeben, nach Italien weiterreisen zu wollen.
Als Ursache des Unglücks vermuten die Behörden eine Panik an Bord. Die Küstenwache habe das Boot nach der Kontaktaufnahme weiterhin beobachtet und plötzlich abrupte Bewegungen wahrgenommen, sagte der Sprecher. Dann sei der Kutter gekentert und schnell gesunken. Am Wetter habe es nicht gelegen. Das sei verhältnismäßig ruhig gewesen, hieß es.
Hafenstadt Kalamata wurde zum Krisenzentrum
Die Unglücksstelle liegt nahe der tiefsten Stelle im Mittelmeer, dem sogenannten Calypsotief, das rund fünf Kilometer bis zum Meeresboden reicht. Eine Bergung des Wracks dürfte damit so gut wie ausgeschlossen sein. Die Hafenstadt Kalamata auf der Halbinsel Peloponnes wurde zum Krisenzentrum: Ins dortige Krankenhaus und andere Unterkünfte wurden die Überlebenden gebracht. Manche mussten wegen Unterkühlung behandelt werden.
Griechenland hat die Kontrollen seiner Gewässer in den vergangenen Jahren bereits massiv verschärft, um illegale Migration abzuwehren. Deshalb wählen Schlepper und Migranten zunehmend gefährliche, lange Routen von der Türkei und Staaten des Nahen Ostens südlich an Griechenland vorbei direkt nach Italien, um in die EU zu gelangen.
Seit 2014 sind nach UNO-Angaben mehr als 20.000 Migranten auf dem Mittelmeer gestorben. Ende Februar 2023 kam es in Italien vor der Küste Kalabriens zu einem Bootsunglück mit mindestens 90 Toten.
Italien fordert nun Kooperation mit EU
Italien fordert nun einen entschlosseneren Kampf der EU gegen Schlepperei. "Was sich auf dem Peloponnes ereignet hat, ist eine große Tragödie, die uns betrübt. Ich hoffe, dass sie sich nicht wiederholen wird, aber ich fürchte, dass dies nicht geschehen wird", sagte der italienische Innenminister Matteo Piantedosi in einem Interview mit dem TV Sender SkyTg24 am Donnerstag.
"Dies motiviert uns jedoch umso mehr, den eingeschlagenen Weg weiterzuverfolgen: Den Menschenhändlern das Geschäft zu zerstören und noch härter daran zu arbeiten, sie zu besiegen. Das können wir nur gemeinsam mit Europa tun. Die Regelungen des in den letzten Tagen verabschiedeten Paktes gehen in die gewünschte Richtung", sagte der Innenminister. Europa müsse die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern der Migranten stärken, um die Abfahrten in Richtung Europa zu stoppen.
"Mit den Herkunftsländern der Migranten, insbesondere mit denen in Nordafrika, muss die Zusammenarbeit über Sicherheitsfragen hinausgehen. Wir verstehen das Thema Einwanderung in einem viel breiteren Rahmen", sagte Piantedosi und bezog sich dabei auf Kooperation in wirtschaftlicher und sozialer Ebene.