Herr Khol, die Mitte bricht ein, die Ränder erstarken: Was ist die Salzburger Lektion?
ANDREAS KHOL: Ich würde Salzburg nicht dramatisieren. Im Gegensatz zu dem, was meine Parteifreunde gesagt haben, ist aber nicht nur die krisenhafte Entwicklung in der Welt der Grund dafür, dass Landeshauptleute Verluste erleiden. Es wurden auch Fehler bei der Krisenbewältigung gemacht. Niemand sagt das gern. Aber wenn die Volkspartei in Gemeinden plötzlich 40 Prozent weniger Stimmen hat, dämmert es einem: Das ist alles Pandemie. Das ist der schwere Fehler der Impfpflicht, den man im besten Wissen und Gewissen unter Empfehlung namhafter Experten gemacht hat. Aber die Rechnung wird jetzt präsentiert und bezahlt.

Eine reine Vergeltungswahl?
Die Wahlkampagne war nicht dynamisch und professionell genug. Man hat wahrscheinlich zu defensiv reagiert. Und vom Doyen Haslauer, einem der Großen der Republik, hätte auch ein Verjüngungsprozess signalisiert werden müssen, um den Jungen eine Perspektive zu geben.

Dass in einer bürgerlichen Stadt wie Salzburg die KPÖ zweitstärkste Kraft wird, ist nicht dramatisch?
Es ist dramatisch. Und es ist jugendlicher Protest. Dramatisch, weil unser Bildungssystem offenbar nicht mehr genügend informiert über die Diktatur des Proletariats, die Gulags, die Millionen Holodomor-Opfer in der Ukraine. Die Jungen schreckt der Kommunismus nicht mehr. Die wissen gar nicht, worum es geht. Und der junge Mann (Kay-Michael Dankl) ist ein Talent. Er artikuliert gut, ist sympathisch, gut ausgebildet, hat Sendungsbewusstsein. Und er setzt auf ein Thema: die Wohnungsnot. Die kann man nicht leicht lösen. Das versprechen sie auch nicht. Die sagen nur, wir kümmern uns, und treffen damit den Nerv.

Ganz nach Grazer Drehbuch.
In einer Zeit, wo die Leute Angst haben vor Krieg, Wohlstandsverlust, Krankheit und Unruhen kann es einer Regierung nur schlecht gehen. Man will nicht wahrhaben, dass wir in Österreich nach wie vor auf einer Insel der Seligen leben. Das verstehe ich nicht. Wir haben keine Streiks, keine Gelbwesten, keine tagelang blockierten Flughäfen. Wir haben Lohnabschlüsse von zehn Prozent, und wir haben Beihilfen.

Wie erklärt sich dann der tiefe Graben des Misstrauens?
Nichts ist so glaubwürdig wie jemand, der einen Teil seines Bezugs hergibt. Das ist das Grazer Rezept. Ich kümmere mich um eine Gruppe, der es nicht gut geht, beschenke sie, mache die Leute zu meinen Klienten. Wie im alten Rom. Nur damit kann man kein Land regieren.

Ist die Salzburger KPÖ außerhalb des Verfassungsbogens?
Die Kriterien dafür wären: EU-Feindlichkeit, Verfassungsfeindlichkeit, Straße. Nichts davon trifft auf diese Kommunisten zu. Sie stellen den EU-Beitritt nicht infrage. Sie wollen keine andere Verfassung. Und sie bedienen sich völlig legaler, demokratischer Mittel.

Wenn das so ist: Hätte Wilfried Haslauer für die Einbindung der Kommunisten Ihr Geleit?
Hätte er nicht. Diese Partei hat gesagt, sie will nicht regieren. Und sie hat keine Antworten auf 90 Prozent der Probleme. So jemanden ins Regierungsboot zu holen, wäre fahrlässig.

Und die Kickl-FPÖ, ist die für Sie noch im Verfassungsbogen?
Kickl rüttelt am Verfassungsbogen. Er hat sich zwar weder für den EU-Austritt starkgemacht, noch die Verfassung infrage gestellt. Aber bei der Mobilisierung der Straße gegen die Demokratie ist er weit voran. Noch hat er den Limes nicht überschritten. Aber als einer, der 2000 das Bündnis mit der FPÖ mit grundgelegt hat, sage ich: Wichtiger als das Programm sind die Personen. Wenn es Ausreißer gibt, die von Ausdrucksweise und Grundüberzeugung dermaßen totalitär anmuten wie manche in der FPÖ, dann kann man nicht zusammenarbeiten.

Selbst wenn Kickl zur Seite träte wie seinerzeit Jörg Haider?
Das ist nicht zu erwarten.

Was bleibt übrig, wenn die politische Mitte sich zersetzt?
Es klingt seltsam aus dem Mund eines eingefleischten Türkisen. Aber wir brauchen die Sozialdemokratie. Ich hoffe, dass sie ihre Krise überwindet. Das wäre auch im Interesse der Volkspartei und des Landes, dass die Parteien weiter bestehen, die nicht nur eine einzige Sache aggressiv vertreten, sondern ein Konzept für die gesellschaftliche Ordnung haben.

Wer wäre Ihnen am liebsten an der Spitze der SPÖ?
Es steht mir nicht zu, die Kandidaten zu beurteilen. Alle drei sind redliche Politiker, die versuchen, ihre Überzeugungen in diesem Land umzusetzen.

War Türkis-Grün ein Irrtum?
Es sind einige gute Dinge passiert. Aber es gibt auch unüberwindliche Schranken. Wir bringen nichts zustande bei der unabhängigen Bundesstaatsanwaltschaft. Die Grünen haben kein Interesse. Ihnen gefällt der jetzige Zustand. Aber wir sind keine Einheitspartei. Die Reibungsverluste werden weiterhin deutlich sichtbar sein. Wobei beide davon profitieren.

Und doch geht es zu Ende?
Mein Gott, in der Politik sind eineinhalb Jahre eine lange Zeit.

Sie bezeichnen sich als Türkisen. Noch immer nicht geheilt?
Die Unschuldsvermutung gilt für alle, auch für Politiker. Sebastian Kurz hat den einen oder anderen Fehler gemacht, aber er war eine Hoffnung für Österreich, hat vieles auf die Reihe gebracht, das ihn als gestandenen Christdemokraten ausweist. Ich bin nicht bereit, über Freunde den Stab zu brechen aufgrund von 24 anonymen Anzeigen oder Strafverfahren, die zu keinem Ergebnis führen.