Die politische Flanke ist seit mehr als zwei Jahren offen, jetzt verliert Brüssel die Geduld mit Wien. Weil Österreich entgegen allen Zusagen noch immer über kein neues Energieeffizienzgesetz verfügt, könnte die EU-Kommission bereits in ihrer heutigen Sitzung in Straßburg Strafzahlungen gegen die Republik beschließen. Laut einem Schreiben, das der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts Anfang des Monats an das Klimaministerium gerichtet hat, steht vorerst ein Pauschalbetrag über 7 Millionen Euro im Raum. Damit würden die Verzögerungen bei der Energie- und Klimagesetzgebung in Österreich erstmals direkten finanziellen Schaden anrichten.
Basis für das Vorgehen der EU-Kommission ist ein Vertragsverletzungsverfahren, das Brüssel Ende 2020 gegen Österreich eingeleitet hat. Laut einer EU-Richtlinie hätten spätestens damals alle Mitgliedsstaaten Energieeffizienzgesetze vorlegen müssen, um den galoppierenden Energieverbrauch zu zähmen. In Österreich ist das entsprechende Gesetz allerdings noch immer nicht in Kraft. Ein Versäumnis, für das man sich im Klimaministerium von Leonore Gewessler (Grüne) nicht den Schwarzen Peter zuschieben lassen will. "Wir arbeiten seit dem Amtsantritt an einer schnellen Umsetzung", versichert man auf Anfrage. Bereits im Jänner 2021 habe man den ersten Gesetzesentwurf an die ÖVP übermittelt, zwölf weitere Versionen sollten darauf noch folgen.
Langer Poker im Plenum
So oder so, einig wurde man sich in der Koalition erst im vergangenen Dezember: Unter dem Strich soll Österreichs Energieverbrauch bis 2030 um 18 Prozent sinken, um ein Erreichen der Klimaziele möglich zu machen. Am 1. Februar passierte das neue Energieeffizienzgesetz schließlich den Ministerrat – um dann abermals festzustecken. Weil es sich um eine Zwei-Drittel-Materie handelt, sind für den Beschluss im Nationalrat auch die Stimmen der SPÖ erforderlich. Der EU-Kommission versicherte die Regierung einen Beschluss im Wirtschaftsausschuss am 23. Februar und im Nationalratsplenum Anfang März.
Warum nichts davon passiert ist, darüber gibt es gegensätzliche Erzählungen. Es handle sich um ein "Versagen der türkis-grünen Regierung", sagt SPÖ-Energiesprecher Alois Schroll. "Die SPÖ ist jederzeit zu Verhandlungen bereit, um dieses umweltpolitisch wichtige Gesetz zu beschließen." Laut ÖVP-Parlamentsklub scheitere der Beschluss allerdings just an der Verweigerungshaltung der SPÖ. Der Grüne Klimaschutzsprecher Lukas Hammer ortet bei den Sozialdemokraten "parteitaktische Spielchen".
Weiter neue Gasheizungen erlaubt
Dabei ist das Energieeffizienzgesetz nicht die einzige klimapolitische Materie, die feststeckt. Dasselbe Schicksal teilt das Erneuerbaren-Wärme-Gesetz, das ein sofortiges Gasheizungsverbot im Neubau und den schrittweisen Ausstieg aus fossilen Wärmeträgern vorsehen würde. Das Gesetz hätte nach längeren Verzögerungen mit Jahresbeginn in Kraft treten sollen, doch es scheitert bislang ebenso an der Zwei-Drittel-Hürde im Parlament. So kommt es, dass in Österreich auch mehr als ein Jahr nach Beginn des Ukrainekrieges noch neue Häuser mit Gasheizungen gebaut werden.
Kommentar
Überhaupt keine Bewegung mehr scheint es in Sachen Klimaschutzgesetz zu geben. Während die Grünen weiter darauf pochen, dass gesetzlich festgeschriebene Ziele für die Treibhausgasreduktion für alle Sektoren unabdingbar seien, ist die ÖVP davon inzwischen auch offiziell abgerückt. Ein derartiges Gesetz habe keine Priorität, heißt es regelmäßig aus der türkisen Regierungshälfte. Auch mit dem im Regierungsprogramm vorgesehenen Abbau klimaschädlicher Subventionen scheint es in dieser Legislaturperiode nichts mehr zu werden.
Ruf nach klaren Signalen
Laut Sigrid Stagl, Ökonomin an der Wirtschaftsuniversität Wien, könnten sich diese Versäumnisse bitter rächen. "Es ist offensichtlich, dass wir mit den bisherigen Maßnahmen unsere Klimaziele nicht erreichen werden. Wenn das nicht rasch korrigiert wird, nimmt das künftigen Regierungen und Generationen jegliche Handlungsspielräume." Politisch seien klare Signale zu mehr Effizienz und zur Treibhausgasreduktion gefragt. "Leider gibt es von Teilen der Koalition derzeit genau das Gegenteil. Die resultierende Unklarheit und Verunsicherung droht, enorme volkswirtschaftliche Kosten zu verursachen", sagt Stagl.
Verweise auf Versäumnisse in anderen Staaten sind für Stagl kein taugliches Argument. "Es ist völlig klar, dass jeder Staat sein eigenes Treibhausgasbudget hat, mit dem er auskommen muss. Da kann man nicht sagen, die anderen müssen zuerst." Angesichts dessen ein Klimaschutzgesetz abzulehnen, bezeichnet die Ökonomin als "absurd".