Deutschland und die EU haben ihren Streit über das Verbrenner-Aus beigelegt. "Wir haben eine Einigung mit Deutschland über den künftigen Einsatz von E-Fuels in Autos gefunden", twitterte der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, am Samstag. "Der Weg ist frei: Europa bleibt technologieneutral", teilte Deutschlands Verkehrsminister Volker Wissing ebenfalls über Twitter mit.
Nehammer jubelt
Erfreut zeigte sich Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) über das Einlenken der EU-Kommission. "Heute ist ein guter Tag, weil wir wissen, dass das Auto mit dem grünen Verbrennungsmotor erhalten bleibt", sagte Nehammer am Samstag bei einer Pressekonferenz. Österreich habe in den letzten Wochen Seite an Seite mit Deutschland gegen ein Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2035 gekämpft. "Das ist es, was wir wollten und wofür wir uns eingesetzt haben", ließ er auch in einer Aussendung wissen.
"Es geht um Fortschritt, nicht um Verbote. Der Verbrennungsmotor hat Zukunft, wenn wir ihn zum grünen Verbrenner machen und Technologien wie E-Fuels oder Wasserstoffantriebe weiterentwickeln", erklärte der Kanzler, obwohl von Experten kritisiert wird, dass E-Fuels teuer und ineffizient seien. "Es ist gut und richtig, dass die EU-Kommission nun eingelenkt hat", so Nehammer. "Damit bleibt der Weg offen für fortschrittliche und klimafreundliche Technologien beim grünen Verbrennungsmotor."
Dem Klimawandel könne man nur begegnen, wenn man "innovations- und technologiefreundlich" sei, betonte er einmal mehr bei der Pressekonferenz. Die Einigung sei auch eine wichtige Antwort in Bezug auf den Wirtschaftsstandort Österreich, so Nehammer. Mehr als 80.000 Arbeitsplätze hingen von der Automobilindustrie ab.
"Es ist gut, dass es nun eine Einigung gibt und damit der Weg in Richtung CO2-neutrale Mobilität nicht weiter blockiert wird", reagierte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne). Dass es aber ein Schlupfloch brauche, um die "Zustimmung der Bremser und Blockierer, die einer alten fossilen Ideologie nachtrauern, zu bekommen, ist schade und wird Europas Autoindustrie schwächen".
Greenpeace kritisierte indes die Einigung zwischen der deutschen Bundesregierung und der EU-Kommission scharf: "Dieser faule Kompromiss untergräbt Klimaschutz im Verkehr, und er schadet Europa", sagte der Mobilitätsexperte der Umweltorganisation, Benjamin Stephan, am Samstag in Berlin. Die "dringend nötige Ausrichtung der Autobranche auf effiziente Elektromobilität" werde mit der Einigung verwässert.
Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor könnten auch nach 2035 neu zugelassen werden, wenn sie ausschließlich CO2-neutrale Kraftstoffe tankten. Ein konkreter Verfahrensweg und Zeitplan seien verbindlich festgelegt worden. In einem ersten Schritt solle eine Kategorie rein mit E-Fuels geschaffen und dann in die Flottengrenzwertregulierung integriert werden. Das solle bis Herbst 2024 abgeschlossen sein.
Ohne Deutschlands Zustimmung wäre das geplante Verbrenner-Aus ab 2035 nicht möglich. Wissing hatte im vergangenen Jahr bei den Verhandlungen zwischen Kommission, EU-Staaten und Europäischem Parlament einen Passus für eine Kompromiss durchgesetzt, wonach die Brüsseler Behörde um einen Vorschlag zu den E-Fuels gebeten wird. Dieser Passus ist nicht rechtsverbindlich. Die Kommission wollte ihn erst nach dem formalen Beschluss der Staaten veröffentlichen.
Wissing verlangte dann aber überraschend vorher eine Einigung über die E-Fuels. Die Hängepartie gefährdete auch erhebliche Teile des EU-Klimaschutzprogramms "Fit for 55", da die einzelnen Elemente Verbindungen haben. In Brüssel sorgte das deutsche Vorgehen für erhebliche Verärgerung. Allerdings äußerten in der Zwischenzeit weitere Staaten ihre Bedenken. So sprach sich auch Italien für eine Zulassung von Biosprit-Autos aus.
E-Fuels werden bisher kaum produziert und gelten als knapp, teuer und ineffizient. Daher sollen sie nach dem Willen der EU-Kommission vor allem für den Schiffs- oder Flugverkehr reserviert werden, der nicht direkt mit Strom betrieben werden kann. Einer Studie des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) zufolge reicht die 2035 erwartete Produktionsmenge nicht aus, um allein den Bedarf in diesen Bereichen zu decken. Für Pkw bliebe dann ohnehin nichts übrig, selbst wenn alle erhofften Produktionskapazitäten ausgeschöpft werden könnten.
Europaparlament und EU-Staaten hatten sich bereits im Oktober darauf geeinigt, dass in der EU ab 2035 nur noch emissionsfreie Neuwagen zugelassen werden dürfen. Für Deutschland ist es aber wichtig, dass auch danach noch Neuwagen mit Verbrennungsmotoren zugelassen werden können, die E-Fuels tanken - also klimaneutrale künstliche Kraftstoffe, die mit Ökostrom erzeugt werden. Eine für Anfang März vorgesehene Bestätigung der Einigung durch die EU-Staaten wurde daher von Deutschland zunächst verhindert. Seitdem verhandelten Deutschlands Verkehrsministerium und die EU-Kommission über einen Kompromiss.
EU-Partner irritiert
Viele EU-Partner hatten irritiert auf das deutsche Verhalten in dem Streit reagiert. Am Donnerstag sprach etwa der lettische Ministerpräsident Krisjanis Karins am Rande des EU-Gipfels vor laufenden Kameras von einem "sehr, sehr schwierigen Zeichen für die Zukunft". Es sei verwunderlich, dass eine Regierung sich plötzlich anders entscheide, nachdem eine Vereinbarung bereits getroffen worden sei.
Karins warnte: "Die gesamte Architektur der Entscheidungsfindung würde auseinanderfallen, wenn wir das alle tun würden." Hinter vorgehaltener Hand äußerten sich Diplomaten in Brüssel deutlicher. Sie werfen Deutschland einen Vertrauensbruch vor.