Wie sich die Töne gleichen: Als die ÖVP in Niederösterreich bei der Wahl Ende Jänner auf unter 40 Prozent rutschte, bemühte Bundesparteichef Karl Nehammer in der Ursachenforschung die Geopolitik. Das Debakel sei eine "Abrechnung mit der weltpolitischen Lage", sagte der Kanzler damals.
Ist also regieren heute ein politisch lebensgefährliches Projekt? Zumindest sind die Erwartungen des Publikums hoch wie selten, sagt Politikwissenschaftler Peter Filzmaier: "Die Mehrheit der Menschen sagt: Die Politik versteht unsere Alltagssorgen nicht, wie wir mit dem Einkommen auskommen sollen. Und dann gibt es noch einen sinkenden Anteil jener, die der Politik eine Lösungskompetenz zuschreiben."
Zwei gegenläufige Trends
Filzmaiers Kollege Thomas Hofer sieht zwei gegenläufige Trends: Der "überbordenden Erwartungshaltung" des Publikums stehe eine "fehlende Diskursfähigkeit" der Regierenden gegenüber. Oder anders gesagt: Die Regierung traue sich oft selbst nicht mehr zu, schwierige Reformen durchzubringen und damit langfristige Verbesserungen zu bewirken.
Opposition sei "Mist", warnte vor 20 Jahren der deutsche Sozialdemokrat Franz Müntefering in einem berühmt gewordenen Diktum. Andererseits ist schon seit Jahrzehnten zu beobachten, dass Regierende angesichts der schwer gewordenen Zeiten im Gegenwind stehen, während populistische Oppositionsparteien relativ mühelos Proteststimmen einsammeln.
Politologe Hofer sieht mehrere Komponenten: Feststehe, dass die "Aufstiegserzählung der Zweiten Republik" ins Rutschen gekommen sei. Die Leute könnten also nicht mehr daran glauben, dass es der nächsten Generation besser gehen werde als ihnen selbst. Das mache das Regieren auf jeden Fall schwerer. Das größere Problem sei aber die Kommunikation: "Wenn es einer Regierung nicht gelingt, dieses Gefühl zu adressieren, dann kann sie Pakete schnüren, so viel sie will."
Die Bürger fühlen sich also von der Politik nicht verstanden – das könnte eine Erklärung dafür bieten, wieso die ÖVP-Grün-Regierung im Bund trotz der vielen Hilfspakete und milliardenschweren "Überförderungen" keine "Meter" in Sachen Beliebtheit macht. Filzmaier warnt allerdings: Die Schwierigkeit des Regierens dürfe "jetzt keine Pauschalausrede" werden.
Kollege Hofer attestiert der Regierung, allzu leichtfertig den Glauben an die eigene Wirkkraft aufgegeben zu haben: Schmerzhafte Reformen würden erst gar nicht versucht, stattdessen laviere man durch die Zeiten und hoffe auf positive Schlagzeilen am Boulevard. Stimmt dieser Befund, dann könnte man daraus eine neue These formulieren: Nicht das Regieren werde bei Wahlen abgestraft, sondern das zögerliche "Nichtregieren" derjenigen, die doch eigentlich als Regierung für das Gestalten der Zukunftsfelder zuständig sind.
Weder für das eine noch für das andere gebe es eine Garantie, meint Hofer. So sei zum Beispiel der Reformer Bruno Kreisky bei Wahlen belohnt worden, während der Reformer Wolfgang Schüssel 2006 keinen Lohn vom Wähler erhielt.
Was wirklich zählt, ist wohl das Verhältnis von Erwartung und Erfüllung. Der Politologe Karl-Rudolf Korte meinte dazu im Vorjahr in einem Interview: "Regieren ist schwieriger, denn wir haben eine Erwartungssicherheit gegenüber dem Nichterwartbaren – und das in Zeiten des Gewissheitsschwunds." Letztlich müssten Regierungen "überraschungs- und irritationsfest entscheiden".