Was darf Klimaaktivismus?
LEONORE GEWESSLER: Ich verstehe das Anliegen dieser jungen Menschen, die Sie meinen: Da ist eine Generation, die macht sich zurecht Sorgen um ihre Zukunft. Wenn wir der Klimakrise nichts entgegenhalten, dann wird das eine Katastrophe. Auf der anderen Seite verstehe ich auch, dass Menschen, die auf dem Weg zur Arbeit sind und ihre Kinder zur Schule bringen, über den Aktivismus verärgert sind. Deswegen habe ich, als ich noch selbst in der Klimabewegung aktiv war, für meinen Protest immer andere Mittel gefunden.
Was haben Sie gemacht?
Petitionen, die viele Menschen unterstützten, Banner, Demos organisieren. Mein Protest hat sich dorthin gerichtet, wo die Entscheidungen fallen: an die Politik, die Konzerne und Interessenvertretungen.
Wo kündigen Sie den Aktivisten Ihre Sympathie auf?
Solange niemand zu Schaden kommt, ist das ein friedlicher Protest und ziviler Ungehorsam. Wenn Schaden entsteht, dann gibt es Gesetze, und die soll man dann auch anwenden. Wo Menschen gefährdet werden, ist eine Grenze. Über das Luftauslassen bei Reifen und das Lockern von Radmuttern brauchen wir nicht zu reden.
Einen Arzttermin zu verpassen, das ist okay?
Es geht um ein fundamentales Grundrecht: um den Ausdruck einer politischen Meinung. Wir müssen sehr aufpassen, dass wir nicht das Augenmaß verlieren. Wir haben auch schon Meinungen gehört, die Aktivisten sollen ihre Kosten selbst zahlen. Muss man dann zahlen für Meinungsäußerung? Das ist eine gefährliche Debatte.
Das Recht auf Äußerung ist unbestritten. Aber gibt es ein Grundrecht auf Verletzung der Rechtsordnung?
Unsere Demokratie ist stark genug, dass sie zivilen Ungehorsam aushält. Das hat sie auch die letzten Jahrzehnte immer ausgehalten. Als Ministerin will ich der Zivilgesellschaft nicht ausrichten, wie sie ihren Aktivismus organisieren soll.
Drückt sich in dieser Form des Protests nicht auch ein Misstrauen gegenüber der Politik und den regierenden Grünen aus?
In Österreich ist 30 Jahre lang viel zu wenig passiert im Klimaschutz. Um das zu ändern, bin ich in die Politik gegangen. In den letzten drei Jahren haben wir eine Aufholjagd gemacht, aber ich sage nicht, dass wir damit fertig sind. Wir müssen jedes Jahr mit genau dieser Dynamik weitermachen, damit wir das Ziel der Klimaneutralität 2040 auch wirklich erreichen.
Bremst die ÖVP?
Wir haben bei der jüngsten Regierungsklausur riesige Meilensteine für den Klimaschutz weitergebracht, etwa: Reform der Umweltverträglichkeitsprüfung, Fotovoltaikförderung, Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz, Erneuerbare-Gase-Gesetz.
Das klingt alles so furchtbar.
Legistik ist nicht Lyrik.
Welche Maßnahme würden die Grünen gerne schneller oder schärfer umsetzen?
Eine, die gerade sehr intensiv diskutiert wird, ist Tempo 100. Diese Maßnahme ist sinnvoll, weil sie weniger Verkehrstote bringt, weil sie weniger Emissionen verursacht, weil sie Geld spart, weil sie sozial gerecht ist und man kaum Zeit verliert. Aber es gibt dafür im Nationalrat keine Mehrheit. ÖVP, SPÖ, FPÖ und Neos sind dagegen. Daher bleibt mir nur der Appell: Bitte leisten Sie diesen Beitrag und fahren Sie langsamer.
Manche ÖVP-Politiker empfinden Sie als zu dogmatisch, zu ideologisch, zu fundamentalistisch.
Die Koalition ist ein Arbeitsübereinkommen, um für die Menschen und das Land Dinge auf den Boden zu bringen. Ich stehe dazu, dass es dafür eine gewisse Hartnäckigkeit braucht. Und mit dem Willen, die notwendigen Entscheidungen zu treffen, macht man sich nicht nur Freunde.
Die Legislaturperiode ist bald um. War es für die Grünen ein Glück, dass es der ÖVP so schlecht gegangen ist?
Wir haben viel zustande gebracht. Ganz egal, wie es dem Koalitionspartner gerade geht, ist das immer ein Bohren dicker Bretter. Aber wir setzen um, was wir versprochen haben.
Sie müssen auch Dinge machen, die Sie vorher nicht versprochen haben. Etwa: in den arabischen Raum fliegen und Gas einkaufen. In Deutschland mussten Grüne sogar beschließen, dass weiter Kohle abgebaut wird.
Natürlich hätte ich mir nicht gedacht, dass mich das Thema fossiles Erdgas dermaßen beschäftigen wird. Die Situation erfordert Entscheidungen, die nicht populär und nicht einfach sind. Ich beneide auch Robert Habeck nicht um seine Entscheidungen für die Versorgungssicherheit in Deutschland. Aber das, was wir jetzt kurzfristig machen müssen, bringt uns keinen Millimeter davon ab, wo wir mittel- und langfristig hinmüssen: nämlich raus aus dieser Abhängigkeit von fossiler Energie.
Warum ist es vernünftiger, Fracking-Gas zu importieren, als selber zu fracken?
Wir brauchen Dinge, die uns jetzt aus der Krise helfen. Deshalb müssen wir kurzfristig schauen, dass wir rasch Alternativbelieferungen kriegen. Aber 2030 und danach macht es keinen Sinn mehr, ein neues Gasfeld zu entwickeln.
Stört es Sie, dass die Leute nach der Pandemie jetzt wieder in Massen in Flugzeuge steigen?
Es ist für mich ein Auftrag, mich für den Ausbau der Bahnverbindungen einzusetzen. Im Herzen Europas kann die Bahn viel vom Flugverkehr ersetzen. Wien ist die Hauptstadt der Nachtzugverbindungen, weil wir das massiv unterstützen.
Aber ich komme mit der Bahn nicht nach New York. Muss man Überseeflüge und fossile Mobilität mengenmäßig limitieren?
Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, als Buchhalterin über Kilometerbüchern zu sitzen. Sondern die Infrastruktur zu schaffen, die den Umstieg so bequem und einfach wie möglich macht.
Die unbegrenzte Zahl von Überseeurlauben ist Ausdruck westlicher Freiheit?
Es gibt Dinge, die machen in einer klimaneutralen Welt wenig Sinn. Um 10 Euro nach London fliegen, um g‘schwind einmal einzukaufen, das ist keine gescheite Idee. Wir bringen eine Regelung auf den Weg, dass man Flugtickets nicht mehr unter den Kosten von Steuern und Gebühren verkaufen darf, damit wir solchen Auswüchsen einen Riegel vorschieben.
Muss nicht auch das Schnitzel teurer werden?
Wenn es billiger ist, ein Kilo Schnitzel zu kaufen als ein Kilo Biogemüse, dann haben wir eine verkehrte Welt. Da braucht es sicher in der Agrarpolitik noch einige Stellschrauben.
Die Steiermark bekommt jetzt ein zweites Weltcup-Nachtskirennen mit per Hubschrauber eingeflogenen Flutlichtanlagen. Freuen Sie sich als Steirerin mit?
Wir diskutieren Klimaschutz zu oft als eine Frage der persönlichen Entscheidung. Wir müssen viel stärker darüber reden, was es für den Wintersport bedeutet, wenn Skigebiete unter 1000 Metern perspektivisch keinen Schnee mehr haben werden. Industrie, Mobilität, Sport und Wintertourismus müssen fragen, ob sie neue Wege gehen müssen. Das ist aber nicht eine Entscheidung der Zuseherin oder des Zusehers.