Über die Arbeit der Medien ist Ilse-Maria Vrabl-Sanda nicht immer glücklich. Durch die Bezeichnung "Anklagebehörde" würde öffentlich ein falsches Bild der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) vermittelt, erklärt deren Chefin am Donnerstag bei einem Mediengespräch. Es entstehe der Eindruck: "Verfahren, die nicht mit einer Verurteilung enden, sind für die Staatsanwaltschaft eine Niederlage."
Doch das sei falsch. Die Staatsanwaltschaften würden aufklären, was tatsächlich geschah – und dann abklären, ob Gesetze verletzt wurden. Ist das nicht der Fall, wird das Verfahren eingestellt. Insofern sei man eher eine "Sachverhaltsaufklärungsbehörde", erklärt Vrabl-Sanda, denn: "Wir spielen kein Match gegen Angeklagte. Der Rechtsstaat ist kein Fußballspiel."
WKStA gegen Vorverurteilung
Überhaupt seien Freisprüche und Einstellungen keine verlorene Liebesmüh – und würden auch keine sinnlosen Kosten verursachen, findet die Chefin der Korruptionsjäger. Die von der Regierung präsentierten Vorschläge gegen Vorab-Korruption und Mandatskauf würden etwa stark auf eingestellte Verfahren der WKStA münden.
Freisprüche lägen hingegen in der Natur der Sache: Die Staatsanwaltschaft muss anklagen, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Das Gericht dürfe hingegen nur verurteilen, wenn es die Schuld "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" festgestellt habe, erklärte Vrabl-Sanda.
Umso mehr appellierte sie, mediale Vorverurteilung zu unterlassen: Ihre Staatsanwältinnen und Staatsanwälte müssten jede Anzeige prüfen und "jedem – auch vagen – Verdacht nachgehen". Die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens sei aber "weit weg von einem Schuldspruch", eine Verfahrenseinleitung zur Vorverurteilung zu nutzen, "geradezu absurd".
Viel zu tun
Die Öffentlichkeit mancher Ermittlungsverfahren sorgt bei der WKStA auch deshalb für wenig Freude. Die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte arbeiten lieber in Ruhe – und haben damit ohnehin genug zu tun, wie Vrabl-Sanda anmerkte: 1093 Verfahren hatte die WKStA 2021 geführt. 838 wurden erfolgreich erledigt. 2022 kamen 948 Verfahren hinzu, 704 wurden erfolgreich beendet. Diese Zahlen würden aber "nichts über den Aufwand" aussagen, erklärte Vrabl-Sanda.
Denn bei der WKStA schlagen einerseits vor allem komplexe Verfahren auf. Immerhin ist sie nur für große Wirtschafts- und Korruptionsdelikte zuständig. Andererseits gelten aber natürlich neben Verfahren, die mit Verurteilungen enden, auch Einstellungen, Diversionen, mangelnder Anfangsverdacht und die Weiterleitung an andere Staatsanwaltschaften aus Sicht der WKStA als "erfolgreich beendet".
47 Mal endete 2022 eine Anklage der WKStA mit einem Schuldspruch vor Gericht. Zum Vergleich: 45 Mal erfolgte ein Freispruch (teils auch nur zu einzelnen Fakten). Mit 102 Beschuldigten einigte sich die WKStA auf eine Diversion. Die Kronzeugenregelung wird vor allem in Verfahren, die gemeinsam mit der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) geführt werden, genutzt. Vrabl-Sanda sieht hier "nach wie vor große Hürden".
Tatort Smartphone
Immerhin seien Kronzeugen "in erster Linie nicht Zeugen, sondern Täter". Sie müssten daher ihren eigenen Tatbeitrag entsprechend aufklären, um überhaupt die Möglichkeit der Straffreiheit zu erlangen. Mit der im Gesetz vorgesehenen Rechtzeitigkeit und häufig offenen rechtlichen Fragen abseits des Strafrechts sei der Schritt aber mit einem hohen Risiko verbunden, sagt Vrabl-Sanda.
Dabei würden sie die Aufklärungsquote deutlich steigern, denn normale Zeugen gebe es in Korruptions-Causen eigentlich fast nie. Auch "den klassischen Tatort gibt es bei unseren Verfahren in der Regel nicht", erklärt Vrabl-Sanda: "Der Tatort ist regelmäßig das Smartphone."
Ohne Handy-Beschlagnahmung kein Casag-Verfahren
Umso kritischer sieht sie daher Forderungen nach höheren Hürden bei der Auswertung digitaler Kommunikation. Die Rechtsanwaltskammer fordert etwa, dass für die Sicherstellung elektronischer Datenträger ein "dringender" statt einem "berechtigten" Tatverdacht nötig sein soll. "Das Casag-Verfahren gäbe es unter diesen Voraussetzungen schlicht nicht", sagt Vrabl-Sanda.
Auf die Person Thomas Schmid sei man überhaupt erst nach Auswertung der Handys von Ex-FPÖ-Chef Heinz Christian Strache und anderen gestoßen. "Gegen sie gab es damals einen begründeten, aber keinen dringenden Tatverdacht." Durch die Maßnahme würde die staatsanwaltschaftliche Aufklärung daher "erheblich erschwert".
Überhaupt sieht die Chefin der Korruptionsjäger die Bringschuld an anderer Stelle: Die Entscheidungen von Amtsträgern würden immer häufiger auf elektronischer Kommunikation stattfinden. "Die gehört veraktet, nicht gelöscht", wünscht sich Vrabl-Sanda auch eine "Diskussion über richtige Veraktung". Denn in ihren Ermittlungen sei die WKStA immer wieder mit "verschwimmender Verantwortung und mangelnder Erinnerung" konfrontiert. Eine richtige Veraktung der Entscheidungswege würde dem aus ihrer Sicht entgegenwirken.
Maximilian Miller