In "Zelig", einem Film von Woody Allen, verwandelt sich der Protagonist fortlaufend. Er ist Zahnarzt, Pilot, Nazi-Offizier, Afroamerikaner, Baseball-Star ... all das ohne sein Zutun. Im US-Kongress hat gerade eine "Zelig"-artige Gestalt ihren Dienst angetreten: George Santos, der für die New Yorker Republikaner ins Rennen ging. Santos allerdings wusste, was er tat, und deshalb hat die New Yorker Partei ihn aufgefordert, zurückzutreten. Bei der Republican Jewish Coalition ist er nicht mehr willkommen. Viele Republikaner grüßten ihn mit eisigem Schweigen. Aber Kevin McCarthy, Sprecher der Republikaner im Repräsentantenhaus, hält an ihm fest – unter Berufung auf den Wählerwillen.
Wer ist George Santos? Seine Großeltern flohen vor dem Holocaust aus der Ukraine über Belgien nach Brasilien, sagte er. Tatsächlich waren sie in Brasilien geborene Katholiken. Seine Mutter, die ihn "Anthony" nannte, starb bei dem Anschlag von 9/11, sagte er. Tatsächlich lebte sie bis 2015 oder 2016. Vier Angestellte will er bei einem Massaker in einem Nachtclub in Florida verloren haben. Tatsächlich hatte er keine Verbindung zu den Opfern.
Wohnung erfunden, Scheckbuch gestohlen
Er will am Baruch College studiert haben und ein Volleyball-Star gewesen sein. Dabei hat er nicht einmal einen richtigen Hauptschulabschluss. Citigroup und Goldman-Sachs, wo er als Wall-Street-Genie gewirkt haben will, kennen ihn nicht. Ein Portfolio von 13 Immobilien? Alles erfunden; nachdem er mehrfach delogiert wurde, weil er keine Miete zahlte, lebt er bei seiner Schwester. Eine angebliche Eigentumswohnung in Rio de Janeiro existiert nicht. Allerdings wird er in Brasilien gerichtlich verfolgt, weil er ein Scheckbuch gestohlen haben soll. Ein von ihm gegründeter Verein, der Tiere rettete? Ein Gehirntumor? Erfunden. Und der erste offen schwule republikanische Wahlsieger war lange mit einer Frau verheiratet.
"Kleine Übertreibungen"
Am problematischsten ist allerdings: Wo kommen seine Wahlkampfgelder her? Laut "Washington Post" führt er die im Mai 2021 gegründete Devolder Organization. Die zahlt ihm trotz eines bescheidenen Jahresumsatzes von 43.000 Dollar ein Gehalt von 750.000 Dollar, wovon er 600.000 Dollar für seinen eigenen Wahlkampf gespendet hat. Während es in den USA für Politiker nicht illegal ist, den Lebenslauf zurechtzulügen, müssen Wahlkampfspenden durchaus korrekt angegeben werden.
Erklärt hat der Politiker bisher nur, dass er sich mit seinen "kleinen Übertreibungen" nicht strafbar gemacht habe. Rechtlich gibt es keine Handhabe gegen ihn. Zwar könnte ihn eine Zweidrittelmehrheit zum Rücktritt zwingen. Für die Republikaner aber mit ihrer knappen Mehrheit, darunter ein paar Dutzend unsichere Kantonisten, wäre das gar nicht gut. Denn dann gäbe es Neuwahlen, und Nassau Country auf Long Island, wo Santos herkommt, ist ein knapper Wahlkreis.
Eva Schweitzer (New York)