Die türkische Armee hat nach eigenen Angaben seit Beginn der neuerlichen Militäroffensive in Syrien und im Irak 184 "Terroristen neutralisiert". Das türkische Verteidigungsministerium sprach in der Nacht auf Dienstag von Angriffen aus der Luft und mit landgestützten Geschützen. Aktivisten zufolge wurde auch eine von den USA mitgenutzte Basis bombardiert. Deutschland und Russland riefen Ankara indes zur Zurückhaltung auf.
Die genannte Opferzahl ließ sich nicht unabhängig überprüfen. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte hatte zuvor von mindestens 35 Toten, darunter auch Zivilisten, berichtet. In der südosttürkischen Provinz Gaziantep kamen am Montag nach Angaben des Innenministeriums drei Menschen durch Beschuss aus Syrien ums Leben.
Seit Sonntag beschießen die türkischen Streitkräfte Stellungen kurdischer Milizen, die von der türkischen Führung für einen Anschlag am 13. November im Zentrum Istanbuls verantwortlich gemacht werden. Sowohl die syrische Kurdenmiliz YPG als auch die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK weisen jede Verantwortung für die Explosion zurück, bei der sechs Menschen getötet wurden. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan deutete am Montag auch eine mögliche Bodenoffensive an.
US-Basis getroffen
Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte führte die türkische Armee am Dienstag auch einen Drohnenangriff auf eine Militärbasis durch, der von kurdischen Kämpfern und der US-geführten internationalen Koalition genutzt werde. Es seien zwei kurdische Kämpfer getötet und drei verletzt worden, hieß es. Von der Basis nahe der Stadt Al-Hasaka wurden Offensiven gegen den Islamischen Stat (IS) geführt. Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar rief parallel zum Angriff die USA dazu auf, ihre Unterstützung der Kurdenmiliz YPG einzustellen. "Wir weisen alle unsere Partner, insbesondere die USA, darauf hin, dass die YPG das syrische Gegenstück zur PKK ist, und wir verlangen von ihnen ausdrücklich, dass sie jegliche Unterstützung für die Terroristen einstellen", sagte Akar am Dienstag.
Die jüngste Offensive ist die mittlerweile fünfte der Türkei in Nordsyrien. Infolge der Militäreinsätze hält die türkische Armee grenznahe Gebiete in Syrien besetzt und kooperiert dabei mit Rebellengruppen. Der syrische Präsident Bashar al-Assad wird dagegen von Russland unterstützt.
Russland mahnt
Russland reagierte mit mahnenden Worten auf die neuerliche türkische Offensive. "Wir verstehen und respektieren die Sorge der Türkei um ihre eigene Sicherheit", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Dienstag vor Journalisten. Dennoch fordere Moskau "alle Parteien auf, Schritte zu unterlassen, die zu einer ernsthaften Destabilisierung der Situation führen könnten". Ähnlich hatte sich zuvor auch der russische Syrien-Gesandte Alexander Lawrentjew geäußert. Ankara möge "sich in Zurückhaltung üben, um eine Eskalation der Spannungen nicht nur im Norden und Nordosten Syriens, sondern im gesamten Land zu verhindern", sagte er am Montag.
Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser traf am Dienstag in Ankara mit ihrem türkischen Kollegen Süleyman Soylu zusammen. Dabei sagte sie, dass Deutschland im Kampf gegen den Terrorismus an der Seite der Türkei stehe, "die Reaktion muss aber verhältnismäßig sein". Faeser mahnte zur Einhaltung des Völkerrechts und zum Schutz von Zivilisten.
Die oppositionelle Linke forderte hingegen einen Stopp der Waffenlieferungen an den Nato-Staat. "Wir müssen unverzüglich ein Waffenembargo gegenüber der Türkei verhängen", sagte der Europaparlamentarier Martin Schirdewan am Dienstag in Straßburg. Zudem forderte er EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Chefdiplomat Josep Borrell auf, die Angriffe der Türkei zu verurteilen. "Es handelt sich ganz klar um völkerrechtswidrige Angriffe auf diejenigen Kurdinnen und Kurden – und ich möchte das in Erinnerung rufen –, die den IS erfolgreich bekämpft haben in Syrien", sagte der Ko-Chef der deutschen Oppositionspartei.