Eine Reihe von Explosionen hat Freitag früh die Stadt Charkiw im Nordosten der Ukraine erschüttert. Das teilen der Gouverneur der gleichnamigen Region, Oleh Sinegubow, und Bürgermeister Ihor Terejkow, mit. Russische Streitkräfte haben in den vergangenen Wochen ihre Raketenangriffe die Elektrizitätswerke in der Ukraine verstärkt. In der Stadt Cherson kamen russischen Angaben zufolge vier Menschen bei ukrainischem Beschuss ums Leben. Ukrainische Raketenartillerie habe am Donnerstagabend eine Fährüberfahrt getroffen, sagt der von Russland eingesetzte Vize-Gouverneur der Region, Kirill Stremousow. Berichte gab es zudem auch über Explosionen in Saporischschja.
Details zu den Explosionen in Saporischschja lagen unterdessen noch nicht vor. Gouverneur Olexander Staruch meldete bisher nur die Detonationen. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Ukrinform wurden Wohnhäuser und zivile Infrastruktur bei dem russischen Beschuss beschädigt.
Russische Streitkräfte haben in den vergangenen Wochen ihre Raketenangriffe auf die Elektrizitätswerke in der Ukraine verstärkt. Präsident Wolodymyr Selenskyj verhängte am Donnerstag erstmals seit dem russischen Einmarsch Ende Februar landesweite Beschränkungen für die Stromnutzung. In seiner abendlichen Ansprache beschuldigte Selenskyj Russland einen Angriff auf das Wasserkraftwerk Kachowska im Süden der Ukraine zu planen. "Wir haben Informationen, dass russische Terroristen den Damm und die Anlagen des Wasserkraftwerks Kachowska vermint haben", sagte Selenskyj. Sollte der Damm brechen, würden 80 Ortschaften - darunter die Stadt Cherson - überflutet werden.
Eigenen Angaben zufolge treiben die ukrainischen Streitkräfte ihre Offensive gegen russische Truppen in der südliche Region Cherson voran. Es habe heftige Kämpfe im Bezirk Beryslaw gegeben.
Einige Fragen und Antworten zur Versorgungslage in der Ukraine:
Wie groß sind die Schäden in der Ukraine?
Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, dass bereits rund 40 Prozent der ukrainischen Energieanlagen beschädigt worden seien. Immer wieder sind Teile des Landes ohne Strom, mitunter auch ohne Wasser und ohne Gas zum Heizen. Angesichts des bevorstehenden Winters ist das für die Menschen in dem vom Krieg gezeichneten Land besonders besorgniserregend.
Der Export von ukrainischem Strom nach Europa - unter anderem nach Polen - ist wegen der russischen Angriffe und dem daraus folgenden Mangel im eigenen Land vor Tagen eingestellt worden. "Russland verübt Energieterror gegen die Ukraine", heißt es vom zuständigen Ministerium in Kiew.
Was sind die konkreten Auswirkungen?
Um größeren Engpässen vorzubeugen, sind die Ukrainer seit Tagen zum Energiesparen aufgerufen. Möglichst gar nicht mehr eingeschaltet werden sollen etwa Stromfresser wie Backöfen und Mikrowellen. Zudem wurde am Donnerstag mit landesweiten Stromabschaltungen in Privathaushalten begonnen. Zwischen 7.00 und 22.00 Uhr Ortszeit sollte zeitlich gestaffelt in jedem Gebiet der Strom bis zu vier Stunden lang abgeschaltet werden, hatte der Versorger Ukrenerho schon zuvor mitgeteilt.
"Das ist ein erzwungener Schritt. Aber wir arbeiten alle gemeinsam an dieser Front", erklärte der Vizechef des Präsidialamtes, Kyrylo Tymoschenko. Die Ukrainer waren aufgerufen, ihre Mobiltelefone und Powerbanks rechtzeitig aufzuladen sowie Taschenlampen, Batterien und Wasser bereitzuhalten. "Wir schließen nicht aus, dass wir mit dem Einsetzen der Kälte öfter um Ihre Hilfe bitten werden", hieß es von Ukrenerho. In Kiew wurde angesichts der stark abgekühlten Temperaturen nun die Heizsaison eröffnet - auch damit die Bürger den kostbaren Strom nicht für private Heizgeräte verbrauchen.
Stark betroffen von der Sparmaßnahme war auch der öffentliche Nahverkehr. Im Gebiet Poltawa sollte nur die Hälfte der Elektrobusse fahren, in Ternopil überhaupt keiner. In Kiew wurden lediglich 21 der insgesamt 38 E-Bus-Linien regulär befahren, teils gab es Ersatz durch mit Benzin betriebene Fahrzeuge. Restaurants und Bars waren darüber hinaus aufgerufen, Leuchtreklamen und mit Strom betriebene Dekoration abzuschalten.
Was ist der Hintergrund der russischen Angriffe?
Kriegstreiber Wladimir Putin ordnete die erneuten massiven Angriffe an, nachdem es am 8. Oktober eine Explosion an der Krim-Brücke gegeben hatte. Das Bauwerk verbindet Russland und die 2014 annektierte Halbinsel im Schwarzen Meer - und ist für Moskau sowohl strategisch als auch symbolisch wichtig. Putin macht für die folgenschwere Detonation den ukrainischen Geheimdienst SBU verantwortlich und sprach von einem "Terroranschlag" gegen russisches Staatsgebiet. Der SBU hat eine Beteiligung allerdings nie bestätigt.
Die jetzigen russischen Angriffe sind laut Kreml-Darstellung Vergeltungsschläge für den Vorfall auf der Krim-Brücke und für andere Attacken auf Objekte kritischer russischer Infrastruktur, die Moskau Kiew vorwirft. Viele internationale Militärbeobachter gehen allerdings davon aus, dass die derzeitige heftige Angriffswelle Russlands gegen die Ukraine langfristiger geplant gewesen sein muss.
Wird die EU der Ukraine helfen?
International hat der gezielte Beschuss von Energieanlagen eines ohnehin schon kriegsgebeutelten Landes für Entsetzen gesorgt. Die Europäische Union hat der Ukraine Unterstützung zugesagt. Nach Angaben von Energiekommissarin Kadri Simson liefert die EU zusammen mit dem Energiesektor finanzielle Mittel und Ausrüstung, um die ukrainische Infrastruktur zu reparieren - etwa für beschädigte Netze oder Wärmekraftwerke.
Im März wurde zudem das ukrainische Elektrizitätsnetz - ebenso wie das der benachbarten Republik Moldau - mit dem der EU verbunden. Dadurch können EU-Staaten der Ukraine kurzfristig Strom liefern. Kiew soll auch an den gemeinsamen Gaseinkäufen der EU teilnehmen dürfen. Das System dafür soll von kommendem Frühling an funktionsfähig sein und durch die geballte Marktmacht der Union niedrigere Preise ermöglichen.