Schon seit zehn Tagen bekommt das iranische Regime die Proteste nicht in den Griff, die Protestierenden schöpfen neue Hoffnung auf einen Sturz der Regierung. Aus ihrer Sicht markiert die Welle von Demonstrationen seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini im Gewahrsam der Religionspolizei den Anfang vom Ende des theokratischen Systems, das den Iran seit 1979 beherrscht. Auch einige Iran-Kenner im Ausland sehen eine Chance dafür. „Es ist durchaus möglich, dass sich die Proteste zu einem nationalen Aufstand wandeln, der das Regime entmachtet“, sagt Arash Azizi, Iran-Experte und Buchautor in den USA.
Noch vor zwei Wochen war diese Aussicht nicht erkennbar. Zwar klagten viele Iraner über Inflation, Arbeitslosigkeit, Korruption, Umweltprobleme und Gängelei durch die Religionspolizei. Doch kaum jemand konnte sich vorstellen, dass das System mit dem 83-jährigen Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei an der Spitze innerhalb weniger Tage so unter Druck geraten würde.
Die Gefolgschaft vieler der 80 Millionen Iraner haben Khamenei und die Regierung längst verloren. Die Islamische Republik wurde zwar mit dem Anspruch gegründet, die kleinen Leute zu schützen, hat sich aber zu einem korrupten Apparat entwickelt, in dem nur wenige eine Chance haben.
Thomas Seibert (Istanbul)