Er ist aktuell der Shootingstar der deutschsprachigen Grünen: Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck ist heute zu Besuch in Wien. Auf europäischer Ebene fordert er, dass auch Haushalte im Falle einer Gaskrise "ihren Beitrag leisten sollen" - eine Einschränkung ist hier aktuell aufgrund der europäischen Notfallverordnung Gas nicht möglich. Gemeinsam mit Österreichs Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) will Habeck sich für stärkere, bilaterale Zusammenarbeit in der Gaskrise einsetzen.
Konkret wurden bei einem Arbeitsgespräch am Vormittag drei Punkte ausgearbeitet und in einer gemeinsamen Erklärung festgehalten: In der Frage der Durchleitungsrechte wollen Österreich und Deutschland dafür sorgen, "dass die Rechte auch im Falle einer Gasmangelversorgung gesichert bleiben", erklärte Gewessler - Tirol und Vorarlberg müssen etwa über Deutschland versorgt werden. Man werde zweitens ein bilaterales Abkommen zur Nutzung der Gasspeicher - etwa Haidach - abschließen. Und die beiden Länder wollen bei der Unabhängigkeit und Diversifizierung der Erdgasversorgung enger kooperieren. Anschließend besichtigten Habeck und Gewessler eine der stärksten Großwärmepumpen Mitteleuropas im Kraftwerk Simmering.
Energiedeckel wird "irgendjemand bezahlen müssen"
Am Nachmittag traf Habeck Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher sowie Europaministerin Karoline Edtstadler (beide ÖVP). Auch Edtstadler betonte nach der Unterredung die Notwendigkeit europäischer Lösungen. Gleichzeitig können die Länder gegenseitig die Erfahrungswerte von anderen Mitgliedstaaten nutzen. "Deutschland hat mit schnelleren Genehmigungsverfahren und im Bereich Wasserstoff wichtige Akzente gesetzt, welche für uns Vorbild sein können."
Aus der österreichischen Diskussion rund um einen Strompreisdeckel wollte sich Habeck zwar heraushalten, generell sieht er das Modell aber skeptisch, denn "irgendjemand wird bezahlen müssen". Einspringen werde dann wohl der Staat, "also zahlen wir es dann am Ende über die Steuer zurück", so Habeck. Deutschland arbeite daher in die Richtung, dass man "Menschen direkt unterstützt oder dass man ein unteres Energiesegment subventioniert, also die Grundbedürfnisse begünstigt, aber nach oben hin den Markt arbeiten lässt".
Den Abschluss des eintägigen Besuchs bildet eine Unterredung mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Seinen Amtskollegen Werner Kogler (Grüne) kann der deutsche Grünen-Chef heute nicht treffen, Österreichs Vizekanzler ist mit dem Coronavirus infiziert.
Russische Abhängigkeit "damals politisch gewollt"
"Uns einen zwei Erkenntnisse", erklärte Klimaministerin Gewessler in der Pressekonferenz nach dem Arbeitsgespräch: Energiesicherheit gebe es erst, "wenn wir uns unabhängig gemacht haben von russischen Energielieferungen" - und dieses Ziel sei "am besten und am schnellsten erreichen, wenn wir konsequent und geeint handeln". Daher müsse die Antwort ein geeintes, konsequentes und starkes Europa lauten. Es sei "völlig logisch": "Wir sind in der Öl- und Gasversorgung aufeinander angewiesen", so Österreichs Energieministerin.
Habeck versuchte indes, Positives in der Krise zu finden. Energie habe etwa wieder einen Wert, "das bewusste Einsparen von Energie ist etwas, das man auch über den Tag hinaus behalten kann". Die Frage der Energieabhängigkeiten sei lange weggeschoben worden. Nun, da man sich damit beschäftige, könne man auch gegensteuern, so der deutsche Vizekanzler: "Hätte man in den letzten 10 Jahren so agiert, wie wir es in den letzten 10 Wochen getan haben, hätte man die Abhängigkeit deutlich reduzieren können."
Das sah auch Gewessler so: "Die Abhängigkeit, in die wir uns damals politisch gewollt begeben haben, ist die Situation, mit der wir beiden jetzt umgehen müssen", sagte die Grüne mit Blick darauf, dass Österreich Putin nach der Annexion der Krim als eines der ersten westlichen Länder wieder mit Freuden und Ehren empfing. Putins Versuch, Europa einmal mehr zu spalten, soll diesmal aber nicht gelingen, zeigten sich die beiden grünen Politiker überzeugt.
Habeck: Haushalte sollen Beitrag leisten
Dabei sieht Habeck zwei Probleme, die auf europäischer Ebene adressiert werden müssen: Die europäische Notfallverordnung Gas sieht vor, dass Verbraucher geschützt sind, Industrie und Wirtschaft aber nicht. Das mach Sinn, wenn man von einer kurzfristigen Störung ausgeht, so Habeck: "Das ist aber nicht das Szenario, das wir im Moment haben", es ginge möglicherweise um monatelange Störungen der Gasversorgung - daher müsse die Verordnung angepasst werden.
"Niemand soll frieren. Aber dass private Haushalte auch ihren Beitrag leisten sollen und dass eine massive Störung der Industrie auch Folgen hat, wurde mittlerweile erkannt", so Habeck. Außerdem brauche es aus Sicht des deutschen Vizekanzlers im Falle, dass ein Land seine industrielle Fertigung zurückschraubt, "um in einem anderen Land für warme Wohnungen zu sorgen", eine Form von Ausgleich.
Passenderweise trifft sich der deutsche Vizekanzler auch mit Österreichs Europaministerin Edtstadler im Bundeskanzleramt zu einem weiteren Arbeitsgespräch. Hier werden die Themen wohl weniger brennend sein.
Kooperationsabkommen auch mit Tschechien
Erst am Montag gaben Deutschland und Tschechien in Prag bekannt, ein Gas-Kooperationsabkommen zu planen. "Wir helfen uns gegenseitig bei der Gasversorgung", sagte Habeck in Prag. Indes hofft der deutsche Wirtschaftsminister doch auch noch auf weitere Gaslieferungen aus Russland, wenn die Wartungsarbeiten an der Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 beendet sind. "Ich habe keine geheime Information, weder in die eine noch in die andere Richtung", sagte der Grünen-Politiker am Montagabend in einem Interview mit dem deutschen Sender der ARD. "Die Möglichkeit besteht. Die Chance, dass es nicht so kommt, ist auch da. Wir werden abwarten müssen."
Über die zuletzt wichtigste Route für russisches Erdgas nach Deutschland wird seit Montag nichts mehr geliefert. Nach Angaben der Nord Stream AG sollen die Arbeiten bis zum 21. Juli dauern. In diesen zehn Tagen werde kein Gas durch die Pipeline nach Deutschland befördert, hieß es. Die Sorge, dass Gas im Herbst und Winter knapp wird, ist groß – auch in Italien, Österreich und anderen europäischen Ländern.
Maximilian Miller