Die frühere deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre Russland-Politik während ihrer 16-jährigen Amtszeit verteidigt. Eine Entschuldigung für die von vielen als zu nachsichtig gegenüber Russland kritisierte Politik lehnte sie am Dienstagabend in Berlin in ihrem ersten großen Interview seit Ausscheiden aus dem Amt ab. "Also ich sehe nicht, dass ich da jetzt sagen müsste: Das war falsch, und werde deshalb auch mich nicht entschuldigen."
Merkel räumte zwar ein, dass man der Annexion der Krim durch Russland 2014 härter hätte begegnen können. Man könne aber auch nicht sagen, dass damals nichts gemacht worden sei. Sie verwies auf den Ausschluss Russlands aus der Gruppe führender Industrienationen (G8) und den Beschluss der Nato, dass jedes Land zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben soll.
"Ihr wisst, dass er Europa zerstören will"
"Putins Hass, Putins – ja, man muss sagen – Feindschaft geht gegen das westliche demokratische Modell", sagte Merkel. Sie sei "nicht blauäugig oder so" gewesen, sondern habe gewarnt: "Ihr wisst, dass er Europa zerstören will. Er will die Europäische Union zerstören, weil er sie als Vorstufe zur Nato sieht."
Auch dass sie sich 2008 gegen eine Nato-Osterweiterung um die Ukraine und Georgien gewandt habe, verteidigte Merkel. Hätte die Nato den beiden Ländern damals eine Beitrittsperspektive gegeben, hätte der russische Präsident Wladimir Putin schon damals einen "Riesenschaden in der Ukraine anrichten können".
"Es ist eine große Trauer, dass es nicht gelungen ist"
Es sei so, "dass ich mir nicht vorwerfen muss, ich hab es zu wenig versucht", sagte Merkel zu der Frage, inwieweit sie dazu beitragen konnte, eine Eskalation mit Russland zu verhindern. "Ich habe es glücklicherweise ausreichend versucht. Es ist eine große Trauer, dass es nicht gelungen ist."
Merkel verurteilte den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erneut scharf. "Das ist ein brutaler, das Völkerrecht missachtender Überfall, für den es keine Entschuldigung gibt", sagte sie.
Kritik an Netrebko
Merkel hat sich zudem kritisch über die russische Operndiva Anna Netrebko geäußert. Auf die Frage des Journalisten Alexander Osang, ob sie Netrebko "morgen" zum Essen einladen würde, antwortete Merkel am Dienstagabend: "Nein, würde ich nicht. (...) Politisch hat sie schon Dinge gemacht, die ich absolut verurteile". Ins Detail ging Merkel bei der Veranstaltung im Berliner Ensemble nicht.
Die unter anderem in Wien lebende Netrebko war wegen ihrer zunächst zögerlichen Haltung zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine und einer angeblichen Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Kritik geraten. Mehrere Opernhäuser hatten Auftritte von ihr abgesagt.
In dem vom Aufbau Verlag und dem Berliner Ensemble organisierten Gespräch mit dem "Spiegel"-Reporter Osang mahnte Merkel zugleich: "Ich glaube nicht, dass wir jetzt ein Verbot von russischer Kultur machen sollten. (...) Ich finde, wir sollten gucken, wer unterstützt das, was Putin macht, und wer unterstützt das nicht." Wer nicht zu den Unterstützern zähle, dürfe nicht schlecht behandelt werden, nur weil er Russe sei, sagte Merkel über den Umgang mit russischen Kulturschaffenden.