Die Einigung auf das Sondervermögen für die deutsche Bundeswehr ist auf breite Zustimmung bei den Ampel-Parteien und der Union gestoßen. Der 100 Milliarden Euro schwere Sonderfonds sei "ein gewaltiger Schritt für die Sicherheit Deutschlands und Europas", erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag. Die Union sieht ihre Forderungen durchgesetzt und wird nun voraussichtlich mit großer Mehrheit für die nötige Grundgesetzänderung stimmen.
Unterhändler der "Ampel" und der Union hatten nach wochenlangen Verhandlungen am Sonntagabend einen Durchbruch erzielt. Das Sondervermögen sei "unsere Antwort auf die Zeitenwende", twitterte Scholz. Er hatte die 100 Milliarden Euro Sonderschulden Ende Februar nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine angekündigt, um massive Ausrüstungsmängel bei der Bundeswehr zu beseitigen.
Für die vorgesehene Verankerung des Sondervermögens im Grundgesetz ist eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig. SPD, FDP und Grüne sind deshalb auch auf Stimmen von CDU/CSU angewiesen.
Deutschlands Finanzminister Christian Lindner (FDP) sagte, mit dem Sondervermögen werde sichergestellt, dass gemäß den NATO-Vorgaben in jedem Jahr zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für die Bundeswehr zur Verfügung stehe. Dies könne allerdings in einem Jahr "etwas mehr" und in anderen Jahren "etwas weniger" sein.
Die Hauptstreitpunkte
Das Zwei-Prozent-Ziel war einer der Hauptstreitpunkte mit der Union, die sicherstellen wollte, dass seine Einhaltung dauerhaft gewährleistet ist. Die Kompromissformel lautet nun, dass die NATO-Vorgabe "im mehrjährigen Durchschnitt erreicht" werden soll. Damit soll auch der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Rüstungsprojekte oft Jahre Vorlaufzeit haben und erst dann zu Buche schlagen.
Nachdem das Sondervermögen in einigen Jahren aufgebraucht ist, sollen "weiter die erforderlichen Mittel zur Erreichung der dann gültigen NATO-Fähigkeitsziele bereitgestellt" werden, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der "Ampel" und der Union. CDU/CSU setzen darauf, dass die NATO bei ihren Vorgaben für nötige Waffensysteme mit dem Ukraine-Krieg fortan eher höhere Anforderungen stellt und dadurch automatisch die Verteidigungsausgaben über zwei Prozent bleiben müssen.
Die Union rückt zugleich von ihrer Drohung ab, für das Sondervermögen nur so viele Stimmen zur Verfügung zu stellen, wie der Ampel rechnerisch für eine Zweidrittelmehrheit fehlten. "Wir haben bei den entscheidenden Fragen mit der Ampel hart gerungen, aber mit guten Argumenten uns durchgesetzt", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Er erwarte deshalb "eine breite Zustimmung" der Unionsfraktion.
Die Einigung stelle auch sicher, dass es "kein Aufweichen der Schuldenbremse gebe", betonte Lindner. Er will diese Grundgesetzvorgabe nach den massiven Ausgabenprogrammen der Corona-Pandemie ab dem kommenden Jahr wieder einhalten. Das Sondervermögen fällt nicht unter die Schuldenbremse.
Forderungen und Kritik
CDU/CSU konnten sich mit ihrer Forderung durchsetzen, dass die 100 Milliarden Euro ausschließlich der besseren Ausrüstung der Bundeswehr zugute kommen und nicht auch für andere Bereiche wie Cyberabwehr und Zivilschutz verwendet werden. Dies hatten die Grünen gefordert. Derartige Ausgaben sollen nun aus dem normalen Bundeshaushalt kommen.
Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sagte dazu, Innenministerin Nancy Faeser (SPD) werde eine Strategie zur Stärkung der Cybersicherheit entwickeln. "Das wird mit Sicherheit ein zweistelliger Milliardenbetrag sein."
Kritik an den Sonderschulden kam von der Linkspartei. Die Bundeswehr sei ein "Fass ohne Boden" und es sei nicht sinnvoll, dort "noch mehr Steuergeld zu versenken", sagte Parteichefin Janine Wissler. Sinnvoller wäre es, die Milliarden in Klimaschutz, Öffentlichen Personennahverkehr oder die Sanierung von Schulen zu investieren. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sicherte zu, die Ampel-Regierung werde wegen der Sonderschulden für die Bundeswehr "von keinem ihrer sozialen Ziele Abstand nehmen".
Mit Blick auf die geplanten Rüstungskäufe sagte Dobrindt, Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) habe zugesichert, eine Liste "im Laufe dieser Woche" vorzulegen. Sie wird neben hochmodernen US-Tarnkappen-Jets F-35 voraussichtlich neue Schiffe, Panzer und milliardenschwere Munitionseinkäufe umfassen. Lambrecht rechnete mit der Abstimmung über das Sondervermögen im Bundestag noch vor der Sommerpause. Ob die Beschlussfassung noch in dieser Woche erfolgt, blieb am Montag unklar.
Warum braucht die Bundeswehr so viel Geld?
Nach dem Ende des Kalten Krieges sparte auch Deutschland massiv bei den Verteidigungsausgaben. Drei Jahrzehnte später fehlt es hinten und vorne: altersschwache Kampfjets, Hubschrauber, die nicht fliegen, Panzer und Geschütze, die wegen fehlender Ersatzteile in der Werkstatt vor sich hin rosten. Für Furore sorgte eine Äußerung von Heeresinspektor Alfons Mais am Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine im Februar: Nach jahrelanger Sparpolitik stehe die Bundeswehr nun "mehr oder weniger blank da".
Was hat der Ukraine-Krieg verändert?
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte das Sondervermögen Ende Februar in seiner "Zeitenwende"-Rede im Bundestag an. Mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine wurde klar, dass Deutschland sich im Osten der NATO stärker engagieren muss. Die dortigen Verbündeten fürchten, dass sie selbst Ziel von Angriffen werden. Scholz hat vor diesem Hintergrund auch zugesagt, dass Deutschland fortan "Jahr für Jahr" das NATO-Ziel einhalten wird, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben.
Warum wird nicht einfach der Verteidigungshaushalt erhöht?
Um die zwei Prozent Verteidigungsausgaben zu erreichen, müsste der deutsche Verteidigungsetat auf rund 70 Milliarden Euro steigen. Dieses Jahr liegt er bei 50,4 Milliarden Euro. Doch nach den kreditfinanzierten Milliarden-Programmen gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie will Finanzminister Christian Lindner (FDP) ab dem kommenden Jahr wieder die Schuldenbremse einhalten. Das Sondervermögen hat den Vorteil, dass es nicht unter ihre Vorgaben fällt.
Warum war die Zustimmung der Union nötig?
Die deutsche Regierung will das Sondervermögen im Grundgesetz verankern, in dem auch die Schuldenbremse steht. Es kann nur mit Zweidrittelmehrheiten im Bundestag und Bundesrat geändert werden. Dafür benötigen SPD, Grüne und FDP Stimmen aus der Union.
Worüber wurde gestritten?
CDU/CSU hatten darauf bestanden, dass die zwei Prozent dauerhaft erreicht werden und sie nicht unterschritten werden, wenn das Sondervermögen aufgebraucht ist. Die Kompromissformel lautet nun, dass danach "weiter die erforderlichen Mittel zur Erreichung der dann gültigen NATO-Fähigkeitsziele bereitgestellt" werden. Die Grünen wollten auch Ausgaben in Bereichen wie Cyberabwehr oder Zivilschutz aus dem Sondervermögen finanzieren, wogegen sich die Union stemmte. Die Gelder hierfür sollen nun laut der Einigung aus dem normalen Bundeshaushalt kommen.
Wie wird das Sondervermögen eingerichtet?
Die deutsche Regierung will im Grundgesetz in den Artikel 87a einen neuen Absatz 1a einfügen: "Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro errichten", lautet der geplante Passus. Hinzu kommt das sogenannte Errichtungsgesetz, für das nur eine einfache Mehrheit nötig ist. Darin wird festgelegt, dass das Finanzministerium die nötigen Kredite aufnehmen darf und jährlich über Einnahmen und Ausgaben informieren muss.
Was soll aus dem Sondervermögen angeschafft werden?
Dies legt ein jährlicher Wirtschaftsplan fest. Bereits klar ist, dass die Nachfolge für die betagten Tornado-Jets der Bundeswehr finanziert werden soll. Hierzu hat das Verteidigungsministerium in Berlin die Beschaffung von 35 US-Tarnkappen-Jets F-35 angekündigt. Ebenfalls geplant ist die Ausstattung der Streitkräfte mit bewaffneten Drohnen und neuen Transporthubschraubern. Zudem soll die Schutzausrüstung der Soldatinnen und Soldaten verbessert werden. Laut Einigung mit der Union soll die Umsetzung des Wirtschaftsplans "von einem beratenden Gremium des Haushaltsausschusses" im Bundestag begleitet werden.
Wie werden die Schulden zurückgezahlt?
Details zum Rückzahlungszeitraum sind noch offen. "Nach der Inanspruchnahme beginnt auch die Tilgung innerhalb eines angemessenen Zeitraums", heißt es lediglich in der gemeinsamen Erklärung der Ampel-Parteien und der Union.