Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat am Freitagnachmittag abermals mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert, "um unsere Standpunkte klar zu dokumentieren und kleine Schritte in Richtung Friedensprozess zu machen", so Nehammer in einem Pressestatement nach dem etwa 45 Minuten langen Gespräch.
"Österreich ist klar positioniert in diesem Krieg: Wir stehen an der Seite der Ukraine und benennen den Aggressor klar, das ist die Russische Föderation". Das sei ein Ziel des Gesprächs gewesen, so Nehammer: "Klare Konfrontation mit dem Wahnsinn des Krieges und Konfrontation mit dem Leid der Menschen in der Ukraine".
Themen: Getreide, Gefangene und Gasspeicher
An Sachinhalten sei es um drei Themen gegangen: Erstens um die Frage der blockierten Getreideexporte, die eine weltweite Hungerkrise auszulösen drohen. Putin habe Signale gegeben, dass er bereit sei, Exporte über die ukrainischen Seehäfen zuzulassen, sagt Nehammer. Ob diese Bereitschaft genuin sei, sei aber abzuwarten - es gehe unter anderem darum, ob die Öffnung der zur Verteidigung verminten Häfen nicht von Russland für militärischen Zugriff ausgenutzt würde. Putin sei die Frage der weltweiten Ernährungssicherheit "vollumfänglich bewusst".
Zweites Thema war die Frage nach dem - derzeit stillgelegten - Gefangenenaustausch zwischen Russland und der Ukraine. Auch hier habe Putin Bereitschaft gezeigt, erneut Gespräche mit der Ukraine zu führen. Ferner habe Putin sich auch bereit erklärt, dem Internationalen Roten Kreuz Zugang zu Kriegsgefangenen zu geben, so Nehammer.
Drittens habe Nehammer Putin auch mitgeteilt - "ein technisches Detail" -, dass Österreich den Gasspeicher in Haidach für andere Firmen öffnen werde, sollte die russische Gazprom ihn nicht nutzen.
Seinerseits habe Putin Nehammer abermals angesprochen, dass Europa durch seine Sanktionen selbst schuld sei an den ökonomischen Folgen der Krise, etwa was die Ernährungssicherheit angehe. Nehammer sagt, er habe erwidert, "dass es ohne Krieg keine Sanktionen gäbe"; Putin sei hier weiter "in seiner eigenen Kriegslogik" fixiert.
Vorgespräche mit Ukraine, UN und Rotem Kreuz
Im Vorfeld hatte sich Nehammer diese Woche mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dem Präsidenten des Internationalen Roten Kreuzes, Peter Maurer, ausgetauscht. Am Freitagvormittag fand ein Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan über den Istanbuler Friedensprozess statt.
"Neutralität heißt mit allen Beteiligten reden, aber auch den Aggressor klar zu benennen", so Nehammer. Im Sinne einer aktiven Neutralitätspolitik sei es dem Kanzler wichtig, "mit allen Seiten in Kontakt zu bleiben und einen Beitrag zu einer friedlichen Lösung und einer Linderung des durch den Krieg ausgelösten menschlichen Leids zu leisten", hieß es im Vorfeld in einer Aussendung des Bundeskanzleramts.
"Wichtig, Putin zu konfrontieren"
Es sei "weiterhin wichtig, Wladimir Putin mit den Folgen seines Angriffskriegs gegen die Ukraine zu konfrontieren", betonte Nehammer in der Aussendung vor dem Gespräch. Österreich tue auf humanitärer Ebene "alles, um die fürchterlichen Folgen des Krieges zu mildern". Ebenso wichtig sei, "zu einer Lösung bei der Frage des Exports der ukrainischen Ernte zu gelangen, bevor diese vor Ort verrottet und es gleichzeitig in vielen Teilen der Welt zu einer Hungersnot kommt", so Nehammer.
Für seinen Besuch beim Kreml-Chef im April war Nehammer im In- und Ausland deutlich kritisiert worden. Bei dem Gespräch waren keine Kameras zugelassen, es sei direkt, mitunter hart von beiden Seiten, "mit keinerlei diplomatischer Rücksichtnahme" gewesen, sagte der Kanzler danach, aber: "Stolz bin ich nicht."