Sie ist eine der wenigen Konstanten in der heimischen Innenpolitik: die Neutralität. 70 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher wollen nicht, dass an ihr gerüttelt wird. Ohne Umstände sie zu beleuchten und zu hinterfragen, dominiert die Meinung, die Neutralität hätte Österreich sicher durch den Kalten Krieg gebracht. Warum also etwas daran ändern? Doch der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat hierzulande die Debatte ins Rollen gebracht. Allen voran die Neos sehen Österreichs Rolle nicht mehr als neutralen Solitär umringt von Nato-Staaten.
Wir baten den außenpolitischen Sprecher der Neos im Nationalrat, Helmut Brandstätter, gemeinsam mit dem Friedensforscher und Dozenten an der Universität Wien, Thomas Roithner, an einen Tisch. Die zentrale Frage des von Innenpolitik-Chefin Veronika Dolna moderierten Gesprächs: Wie kann eine neue, wehrhafte Rolle Österreichs innerhalb eines geeinten Europas ausschauen?

Roithner ist klar gegen deren Ende. Er sieht den Mehrwert der Neutralität darin, sich aktiv in Friedenspolitik einbringen zu können, "weniger in Konfrontationen, Mauerbau und Aufrüstung". Sie sei nach wie vor ein Mittel und Weg für Österreich. Brandstätter sucht die Differenzierung des Wortes neutral. So habe bereits Bundeskanzler Julius Raab 1955 gesagt, dass man zwar "militärisch neutral sei, nicht aber ideologisch". Zudem stellt er die Frage, wie lange sich denn Österreich verteidigen hätte können? "Es hätte für ein paar Stunden gereicht, oder lassen wir es Tage sein, mehr aber nicht." Österreich hätte darauf gehofft, "dass die Nato uns verteidigt, wenn es zu einem Angriff im Kalten Krieg kommt". So gesehen sei es "faktenbasiert" an der Zeit, ein neues Instrument für die Sicherheitspolitik zu finden.



Brandstätters Vorschlag: Eine Stärkung der militärischen Dimension der EU. "Wir sprechen von 270 Milliarden Euro an Rüstungsausgaben. Wenn man kooperiert und gemeinsam einkauft, kann man viel erreichen." Zudem müsse sich Europa auch vorbereiten, falls es in sechs Jahren wieder einen amerikanischen Präsidenten gibt, der sagt "wir ziehen uns aus Europa zurück". Dann brauche es eine Lösung. Auch über ein gemeinsames europäisches Atomwaffenarsenal müsse man sprechen, "Macron hat bereits so etwas angedeutet." Denn wenn "Menschen im russischen Fernsehen betonen, dass Raketen in 200 Sekunden in jeder europäischen Stadt sein können, ist es relativ egal, ob Nato-Panzer in der Ukraine stehen".


Roithner hält sich hingegen an die Doktrin: "Selbst wenn du Krieg führst, sei ein Friedensstifter." Österreich müsse – gerade als neutraler Staat – Ansätze zur Konfliktbearbeitung suchen, den Dialog anbieten, Ausstiegsszenarien bereithalten. "Wenn man die humanitäre Situation der Menschen in der Ukraine bedenkt, ist das unsere Verpflichtung."