Pro von Wolfgang Katzian

Die hohe Inflation spült gewaltige Einnahmen in das Staatsbudget. Insgesamt belaufen sich die Schätzungen auf ein Plus von bis zu elf Milliarden Euro bis zum nächsten Jahr, zurückzuführen auf Mehreinnahmen aus Mehrwertsteuer und kalter Progression. Gleichzeitig bleibt auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern immer weniger zum Leben. Vor allem die Preisexplosionen für Heizen, Wohnen und Lebensmittel belasten ihre Haushalts-Budgets.

Diese Mehrkosten muss der Staat verteilungsgerecht an die Bevölkerung zurückgeben, das Geld kommt ja von Konsumentinnen und Arbeitnehmern. Die bisherigen Maßnahmen der Regierung sind ein Tropfen auf dem heißen Stein, sie gleichen die Mehrkosten nicht aus. Die Sozialpartner und die Industriellenvereinigung (IV) haben vor Wochen ein Maßnahmenpaket übermittelt, das spürbare Entlastungen bedeuten würde. Ein Punkt sind die Mieten. Anfang April wurden sie merklich erhöht, was die Mietkosten weiter in die Höhe treibt, obwohl sie wie Immobilienpreise seit Jahren drastisch steigen – viel stärker als die Einkommen. Die Regierung hat es hier bewusst verabsäumt, Gegenmaßnahmen zu setzen.

Für einen normalen Haushalt machen die Ausgaben für Wohnen, Energie, Lebensmittel und Mobilität knapp die Hälfte der Gesamtausgaben aus. Logisch, dass Haushalte mit niedrigen Einkommen besonders betroffen sind. Ihnen bleibt, wenn überhaupt, sehr wenig zum Leben. Ein sozialer Ausgleich mit Einmalzahlungen reicht nicht aus, es braucht die Erhöhung von Sozialleistungen, um Armut und Kaufkraftverluste zu verhindern.

Auch die Warnungen vor einer Lohn-Preis Spirale, die im Zusammenhang mit Debatten um die Inflation regelmäßig kommen, entbehren jeder Grundlage. Preistreiber sind die Kosten für Strom, Gas, Sprit und Mieten, nicht Löhne und Gehälter. Die Gewerkschaften zielen mit Augenmaß auf Basis wirtschaftlicher Daten auf die Sicherung der Kaufkraft und auf den fairen Anteil an den Produktivitätssteigerungen ab. Mit darauf basierenden Lohnerhöhungen kann es zu keiner Lohn-Preis-Spirale kommen. Im Gegenteil, faire Einkommen stabilisieren die Inlandsnachfrage – damit ist Österreich auch in der Finanzkrise besser durch die Krise gekommen als andere Länder der EU.

Wir sind auch gespannt, ob den Ankündigungen, die kalte Progression abzugelten, endlich Taten folgen, wie wir das seit langem fordern. Das Geld dafür und für weitere nachhaltige Entlastungsmaßnahmen ist vorhanden, das bestätigen alle Wirtschaftsforschungsinstitute. Es ist also eine Frage des politischen Willens, sie auch umzusetzen. Je schneller, desto besser.

Wolfgang Katzian wurde 1956 in Stockerau geboren. Der gelernte Bankkaufmann kommt aus der Angestelltengewerkschaft GPA, seit 1977 war er dort aktiv, seit 2018 ist er Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB).
Wolfgang Katzian wurde 1956 in Stockerau geboren. Der gelernte Bankkaufmann kommt aus der Angestelltengewerkschaft GPA, seit 1977 war er dort aktiv, seit 2018 ist er Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB). © APA/HERBERT PFARRHOFER

Kontra von Franz Schellhorn

Die Bürger dieses Landes werden von einer Preislawine überrollt, die noch vor wenigen Monaten niemand für möglich gehalten hätte. Insbesondere ärmere Haushalte wissen oft nicht mehr, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen. Die Preise steigen auf breiter Front, weshalb die Bundesregierung bereits die nächsten Hilfspakete schnürt. Dabei ist es noch keinen Monat her, als zwei Milliarden Euro auf den Weg geschickt wurden, um die Folgen der Inflation zu mildern.

Jeder bekommt vom Staat Geld zugesteckt, vom Bedürftigen bis zum Spitzenverdiener wird niemand vergessen. Es gab Zeiten, in denen der Freigabe derartiger Summen noch hitzige Debatten im Nationalrat vorangingen. Heute werden astronomische Beträge widerstandslos durchgewunken, als würden sie von Dagobert Duck bezahlt.

Das alles hat sehr viel mit der Pandemie zu tun. Mit den enormen Corona-Staatshilfen hat die Politik jedes Maß und Ziel verloren. Und viele Bürger glauben seither, für jeden erlittenen Schaden entschädigt werden zu müssen. Das kann der Staat aber nicht und das soll er auch nicht. Das Land besteht schließlich nicht nur aus Bedürftigen. Die Kosten der Inflation lassen sich nicht wegzaubern, die zentrale Frage lautet also, wer dafür aufkommen wird. Entweder tun wir das heute selbst, oder wir verteilen das Geld weiter mit beiden Händen und schieben die milliardenschweren Rechnungen nachkommenden Generationen zu. Aber wie sollen die Jüngeren das alles schultern? Auf sie wartet ein bis zum Anschlag verschuldeter Staat, der den künftigen Steuerzahlern enorme Beiträge abverlangen wird.

Soll die Politik die sagenhafte Teuerungswelle also ignorieren? Keineswegs. Aber statt gönnerhaft jedem Bürger ein paar Hunderter zuzustecken, sollte der Staat gezielt den ärmsten Haushalten helfen. Dafür ist der Sozialstaat da, und am nötigen Kapital kann es auch nicht fehlen. Denn die Inflation ist so etwas wie die Gelddruckmaschine im Keller des Finanzministeriums. Allein durch die Teuerung werden mehrere Milliarden zusätzlich ins Budget fließen. Diesen Bonus sollte die Politik nützen, um die exorbitant hohen Steuern zu senken. Schon einem Durchschnittsverdiener bleibt nach Abzug aller Steuern und Abgaben wenig mehr als die Hälfte seines Gehalts übrig. Die arbeitende Bevölkerung braucht dringend Entlastung. Denn die bittere Wahrheit ist: Wir werden mit Wohlstandsverlusten zu leben haben. Die Krise, die keiner spürt, ist nämlich noch nicht erfunden. Und der ohnehin als geizig bekannte Dagobert Duck wird seinen Geldspeicher wohl eher nicht für uns öffnen.

Franz Schellhorn, geboren 1969 in Salzburg, leitet seit Februar 2013 die in Wien ansässige wirtschafts- liberale Denkfabrik Agenda Austria. Davor war er fast ein Jahrzehnt lang Leiter des Wirtschaftsressorts der Tageszeitung „Die Presse“.