Die US-Regierung warnt vor einem bevorstehenden russischen Einmarsch in die Ukraine – während die diplomatischen Bemühungen zu einer Beilegung der Krise weiter auf Hochtouren laufen. US-Präsident Joe Biden und der russische Staatschef Wladimir Putin wollen an diesem Samstag telefonieren. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron will mit seinem russischen Amtskollegen sprechen. Zahlreiche Länder legen unterdessen ihren Staatsangehörigen die Ausreise aus der Ukraine nahe.
Bezüglich des für diesen Samstagabend Moskauer Zeit geplanten Gesprächs von Biden und Putin hieß es aus dem Kreml, Washington habe um die Unterredung gebeten. Das Weiße Haus wiederum erklärte, das Gespräch gehe auf einen Vorschlag Russlands zurück.
Unterdessen begann die russische Marine vor der Krim ein Manöver. Mehr als 30 Schiffe der Schwarzmeerflotte hätten die Häfen Sewastopol und Noworossijsk verlassen, berichtet die russische Nachrichtenagentur RIA unter Berufung auf die Marine. Die Übung sei Teil der größer angelegten, geplanten Marinemanöver.
USA erweiterten die Kapazitäten
Auch die US-Luftwaffe rüstet weiter auf: Acht Kampfjets vom Typ F-16 sind nach Rumänien verlegt worden. Die Flugzeuge trafen im Luftwaffenstützpunkt Borcea, 150 Kilometer östlich von Bukarest, ein, wie das rumänische Verteidigungsministerium am Freitagabend mitteilte. Sie würden zusammen mit 150 US-Soldaten an gemeinsamen Übungen mit dem rumänischen Militär teilnehmen, hieß es in der Mitteilung. Die Manöver würden zwei Wochen dauern. Bereits vor einigen Tagen waren vier Kampfjets der US-Marine vom Typ F/A-18 Super Hornet und 50 US-Soldaten in Borcea eingetroffen. Auch sie sollen an der Übung teilnehmen. Rumänien grenzt unmittelbar an die Ukraine.
Großbritannien bekräftigte unterdessen nochmals, keine Kampftruppen in die Ukraine schicken zu wollen. Putin und seine Kollegen würden sehr gerne in der Lage sein, zu sagen, dass ihr mögliches Vorgehen eine Folge westlicher Aggression in der Ukraine sei, sagte der britische Verteidigungsstaatssekretär James Heappey am Samstag im BBC-Frühstücksfernsehen.
US-Außenminister Antony Blinken wird eigenen Angaben zufolge noch am Samstag zur Besprechung der Lage mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow telefonieren. Sollte Russland ernsthaft an einer diplomatischen Lösung der Ukraine-Krise interessiert sein, seien die USA bereit, ihren Teil beizusteuern, sagt Blinken.
Bereits am Freitagabend hatten sich Blinken und die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba ausgetauscht. In der Unterredung Baerbocks ging es nach Angaben aus Berlin unter anderem um die aktuelle Sicherheitslage und den Besuch des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz am Montag. Scholz wird im Anschluss am Dienstag erstmals als deutscher Kanzler in Moskau mit Putin zusammentreffen.
Die US-Regierung warnte unterdessen vor einer möglichen Invasion noch vor Ende nächster Woche und verlegt rund 3000 weitere Soldaten in den Nato-Partnerstaat Polen. Die Soldaten sollten Anfang kommender Woche an Ort und Stelle sein, teilte das Verteidigungsministerium mit. Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan machte deutlich, dass die USA einen russischen Einmarsch in die Ukraine noch vor dem Ende der Olympischen Winterspiele in China am 20. Februar für möglich halten. "Wir befinden uns in einem Zeitfenster, in dem eine Invasion jederzeit beginnen könnte, sollte sich Wladimir Putin dazu entschließen, sie anzuordnen", sagte Sullivan im Weißen Haus.
Russlands Botschaft in den USA hat die amerikanischen Warnungen vor einem Überfall auf die Ukraine wiederum als haltlos zurückgewiesen. Es werde "Alarmismus" verbreitet in den USA, ohne dass Beweise für die Behauptungen vorgelegt würden, teilte der russische Botschafter in Washington, Anatoli Antonow, am Samstag mit. Die Aussagen in Washington zeugten lediglich davon, dass die USA ihre "Propaganda-Kampagne gegen unser Land" verstärkt hätten, sagte Antonow.
US-Präsident Biden hatte sich am Freitag in einer Videoschaltung mit westlichen Verbündeten ausgetauscht, darunter auch Scholz, Macron und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Nach Angaben aus deutschen Regierungskreisen betonten die Verbündeten ihre Entschlossenheit, mit schnellen und harten Sanktionen auf einen möglichen Einmarsch zu reagieren. In Berlin hieß es, die Lage werde von den Teilnehmern aus EU und Nato als "sehr, sehr ernst" eingeschätzt. "Alle diplomatischen Bemühungen zielen darauf ab, Moskau zur De-Eskalation zu bewegen", schrieb der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf Twitter. "Es gilt, einen Krieg in Europa zu verhindern."
Die US-Regierung hatte erst Anfang des Monats die Verlegung von rund 2000 Soldaten nach Europa angeordnet. 1700 davon sollten ebenfalls nach Polen verlegt werden, ein Nachbarland der Ukraine. "Alles in allem umfassen diese 5000 zusätzlichen Soldaten eine hochmobile und flexible Truppe, die zu mehreren Einsätzen fähig ist", erklärte das Pentagon am Freitag. Es gehe darum, die östlichen Nato-Partner zu beruhigen und mögliche Aggressionen abzuwenden, hieß es weiter.
Auf Bidens Anordnung hin waren Ende Jänner bereits rund 8500 Soldaten in den USA in erhöhte Bereitschaft versetzt worden, um bei Bedarf eine schnelle Verlegung nach Europa zu ermöglichen. Es sollen aber keine Soldaten in die Ukraine geschickt werden. In Europa sind auch außerhalb von Krisenzeiten viele US-Soldaten stationiert – derzeit mehr als 80.000 Soldaten. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sprach wegen des Ukraine-Konflikts am Freitag in einer Schaltung mit seinen Kollegen aus Polen, Deutschland, Kanada, Frankreich, Rumänien und Italien.
Sullivan betonte, der US-Regierung lägen keine Informationen vor, dass Putin bereits eine endgültige Entscheidung für eine Invasion getroffen habe. Er fügte hinzu: "Wir sehen weiterhin Anzeichen für eine russische Eskalation, einschließlich neuer Truppen, die an der ukrainischen Grenze eintreffen." Ein möglicher Angriff könne verschiedene Formen annehmen, darunter auch einen schnellen Vormarsch der Truppen auf die ukrainische Hauptstadt Kiew.
Aufforderung, das Land zu verlassen
Sullivan forderte US-Staatsbürger in der Ukraine dazu auf, das Land schnellstens zu verlassen. "Alle Amerikaner in der Ukraine sollten das Land so bald wie möglich verlassen – und auf jeden Fall in den nächsten 24 bis 48 Stunden." Auch Großbritannien fordert zum zügigen Ausreisen auf: "Britische Staatsbürger sollten das Land unverzüglich verlassen und sollten nicht darauf setzen, dass es wie in Afghanistan militärische Hilfe geben wird", sagt der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, James Heappey, dem Sender Sky News. Dänemark, Lettland, Estland, Israel,Belgien und Neuseeland riefen ihre Bürger ebenfalls auf, die Ukraine zu verlassen.
Deutschland will seine Botschaft in der Ukraine vorerst nicht schließen, allerdings soll wegen des Aufmarschs russischer Truppen an der Grenze ein Teil der Mitarbeiter ausreisen. "Wir werden unsere Botschaft in Kiew offen halten", sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Samstag bei einem Besuch in Ägypten. Das Personal werde aber reduziert. Die Maßnahme betreffe auch deutsche Institutionen wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und deutsche Lehrer. Die Familienangehörigen des Botschaftspersonals sollen ihren Worten zufolge ebenfalls das Land verlassen. Das Auswärtige Amt hatte zuvor bereits eine Reisewarnung für die Ukraine ausgesprochen.
Seitens des österreichischen Außenministeriums heißt es derzeit: "Aufgrund der durch die russischen Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine ausgelösten Spannungen wird zurzeit von allen nicht unbedingt notwendigen Reisen in die Ukraine abgeraten. Bei einer allfälligen Reiseplanung ist jedenfalls mit besonderer Umsicht vorzugehen. Allen Reisenden in die Ukraine und dort lebenden Auslandsösterreichern wird dringend empfohlen, sich auf der Website zu registrieren und die Entwicklung der Lage in den Medien aufmerksam zu verfolgen."