Der am Stadtrand liegende Wannsee zählte zu den beliebten Naherholungsgebieten der Berliner. Noch in der Zeit des Kaiserreiches entdeckten wohlhabende Bürger diese Gegend als Wohngebiet und errichteten luxuriöse Villen. Eines dieser pompösen Anwesen, 1914 erbaut von Ernst Marlier, einem Fabrikanten mit dubiosem Ruf, erwirbt 1940 die SS, die Prätorianergarde von Diktator Adolf Hitler, die den Polizeiapparat des Dritten Reiches beherrscht und mit der Waffen-SS auch eigene Kampftruppen unterhält.
Die Villa am Wannsee dient als Gästehaus, am 20. Jänner 1942 wird sie Schauplatz der Planung des größten Verbrechens der Menschheitsgeschichte. Reichsmarschall Hermann Göring, auch Beauftragter für den Vierjahresplan, beauftragte im Juli 1941 schriftlich den hochrangigen SS-Mann Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei, mit dem Entwurf einer „Gesamtlösung der Judenfragen im deutschen Einflussgebiet in Europa“.
An diesem 20. Jänner 1942 versammelt nun Heydrich Verantwortungsträger aus Ministerien, zumeist Staatssekretäre, und dem Parteiapparat in der Villa am Wannsee, um die „Endlösung“, den Massenmord an den Juden in Europa zu planen und organisatorisch abzustimmen. Der gesamte Staats- und Nazi-Parteiapparat wird somit in diesen Völkermord eingebunden. Eingeladen sind auch zwei „Praktiker“, SS-Kommandanten, die hinter der Ostfront Einsatzgruppen befehligen, um die jüdische Zivilbevölkerung zu erschießen. Der Massenmord an Juden hat längst begonnen, jetzt soll er bei dieser Konferenz eine Organisationsform bekommen. Das Protokoll führt Adolf Eichmann, der Leiter des sogenannten „Judenreferats“ in Heydrichs Reichssicherheitshauptamt.
Man weiß genau, wovon man spricht – auch wenn manche Teilnehmer dieser Besprechung nach dem Krieg beteuerten, sie hätten nie und nimmer gewusst, dass es um die Ermordung von Juden geht. Die Zahlen liegen an diesem Tag in der Villa Wannsee auf dem Tisch: Man spricht von elf Millionen Juden, die der „Endlösung“, also der Vernichtung, zugeführt werden sollen. Eine Auflistung, wie viele Juden aus welchem Land es sind, liegt auf.
Infografik
Die Amtsträger des Nazi-Regimes diskutieren, wie und wo mit der „Endlösung“ begonnen werden soll, inwieweit sogenannte „Mischlinge“ nach den Nürnberger Rassegesetzen einzubeziehen sind. Die Vertreter der Ministerien vergessen nicht, auf ihre Zuständigkeiten zu pochen, auf die sie auch nicht bei diesem Mordprogramm verzichten wollen.
Nach gut eineinhalb Stunden „intensiver Diskussionen“, wie es heißt, geht die Konferenz zu Ende und Heydrich lädt die Teilnehmer zu einem opulenten Buffet, an dem sich die Herren des Nazi-Regimes gütlich tun. Das Protokoll erhält die Einstufung „Geheime Reichssache“ und wird in 30 Ausfertigungen erstellt. 29 Exemplare fielen der Vernichtung anheim, eines, das 16., blieb der Nachwelt durch Zufall erhalten und gibt Einblick, mit welcher kaltschnäuzigen Unbarmherzigkeit die Nazis in der Villa am Wannsee den Massenmord an den europäischen Juden verabredeten und planten.
Nach 1945 drückten sich die überlebenden Teilnehmer dieser „Wannseekonferenz“, wie sie nach dem Krieg bezeichnet wurde, vor jeder Verantwortung, wollten von nichts gewusst haben. Adolf Eichmann, der Hauptorganisator des am Wannsee geplanten Holocausts, flüchtete nach Argentinien.
Vom israelischen Geheimdienst 1960 geschnappt, nach Israel gebracht und in Jerusalem vor Gericht gestellt, beteuerte Eichmann, er sei doch nur ein Befehle ausführendes Rädchen gewesen und schon gar nicht ein Antisemit. Ohne machtstrotzende Uniform mit Rangabzeichen stand da eine unscheinbare Person, die mit umständlichen Satzformulierungen versuchte, sich jeder Verantwortung zu entledigen.
Die Publizistin Hannah Arendt nannte ihren Bericht über den Eichmann-Prozess „Die Banalität des Bösen“. In einem Interview mit einem Gesinnungsfreund hatte Eichmann vier Jahre zuvor anders geklungen:
Das Urteil wurde am 1. Juni 1962 vollstreckt, die Hinrichtung Eichmanns erfolgte durch Erhängen. Bis zu 6,3 Millionen Menschen wurden vom Nazi-Regime im Zuge des Holocausts ermordet.
Die Villa der Wannseekonferenz ging nach dem Ende des Nazi-Regimes in das Eigentum von Berlin über, wurde an eine Stiftung der SPD vermietet, fand danach Verwendung als Schülerheim. 1992 wurde in dem Haus eine dauerhafte Gedenkausstellung zur Erinnerung an den 20. Jänner 1942 eröffnet. Der Wannsee ist heute noch ein beliebtes Naherholungsgebiet der Berliner Bevölkerung.
Christian Weniger