Die EU-Kommission will Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich einstufen. Das geht aus einem Entwurf für einen Rechtsakt der Brüsseler Behörde hervor, der am Neujahrstag kurz nach dem Versand an die EU-Mitgliedstaaten öffentlich wurde. Investitionen in neue AKW sollen demnach dann als grün klassifiziert werden können, wenn die Anlagen neusten technischen Standards entsprechen.
Darüber hinaus muss ein konkreter Plan für den Betrieb einer Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle ab spätestens 2050 vorgelegt werden. Zudem ist als eine weitere Bedingung vorgesehen, dass die neuen kerntechnischen Anlagen bis 2045 eine Baugenehmigung erhalten, wie aus dem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Text hervorgeht.
Ausstoß von Treibhausgasen relevant
Investitionen in neue Gaskraftwerke sollen übergangsweise unter strengen Voraussetzungen ebenfalls als grün eingestuft werden können. Dabei soll zum Beispiel relevant sein, wie viel Treibhausgase ausgestoßen werden. Für Anlagen, die nach dem 31. Dezember 2030 genehmigt werden, wären dem Vorschlag zufolge nur noch bis zu 100 Gramm sogenannte CO₂-Äquivalente pro Kilowattstunde Energie erlaubt – gerechnet auf den Lebenszyklus.
Die Einstufung von Wirtschaftstätigkeiten durch die EU-Kommission soll Anleger in die Lage versetzen, ihre Investitionen auf nachhaltigere Technologien und Unternehmen umzustellen und so wesentlich zur Klimaneutralität Europas bis 2050 beitragen. Ob Gas und Atomkraft als Teil der sogenannten Taxonomie als klimafreundlich gelten sollten, ist unter den EU-Staaten jedoch stark umstritten.
Kritik von Gewessler
Scharfe Kritik an dem Entwurf kommt unter anderem von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne). "Die EU-Kommission hat in einer Nacht- und Nebelaktion einen Schritt in Richtung Greenwashing von Atomkraft und fossilem Gas gemacht. Alleine der Zeitpunkt der Veröffentlichung zeigt schon, dass offensichtlich auch die EU-Kommission selbst nicht überzeugt von ihrer Entscheidung ist", so die Ministerin in einer der APA übermittelten Stellungnahme.
Für Österreich sei jedoch ganz klar: "Weder die Atomkraft noch das Verbrennen von fossilem Erdgas haben in der Taxonomie etwas verloren. Denn sie sind klima- und umweltschädlich und zerstören die Zukunft unserer Kinder." Der Entwurf werde in den kommenden Tagen genau geprüft, und man werde auch nicht davor zurückschrecken, rechtlich gegen die geplante Verordnung vorzugehen.
"So wie der Entwurf jetzt am Tisch liegt, ist er für uns nicht akzeptabel. Ebenso die Vorgehensweise der Kommission", unterstreicht Gewessler ihre Kritik auch am Montag im Ö1-Morgenjournal. "Wir werden hier mit aller Konsequenz unsere Position vertreten", so die Ministerin. "Wenn die Kommission diese Pläne tatsächlich so umsetzt, wie es im Entwurf steht, dann werden wir auf Basis eines Rechtsgutachtens, das wir beauftragt haben, auch den Klagsweg bestreiten".
Unterschiede in Europa
Während Österreich und Deutschland gegen eine Aufnahme von Kernkraft sind, ist für Länder wie Frankreich die Atomenergie hingegen eine Schlüsseltechnologie für eine CO₂-freie Wirtschaft.
Weitere Reaktionen auf den Entwurf
Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) äußerte Bedauern. "Wir haben immer betont, dass Atomkraft aus unserer Sicht keine nachhaltige Energieform ist und nicht in der Taxonomie-Verordnung drinnen sein sollte." Das Vorgehen der EU unterstreiche, "dass die Vorschläge in Richtung grüne Ausnahmen bei Schuldenregeln dazu führen könnten, dass damit mehr Atomkraft finanziert wird. Für uns ist das ein weiterer Grund, diesen Vorschlag abzulehnen", so Brunner in einer Reaktion. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sicherte der grünen Ministerin laut "Kronen Zeitung" jedenfalls "volle Unterstützung" im Kampf gegen Atomstrom zu.
Jugend-Staatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) unterstrich in einem Statement, Atomenergie habe bereits in der Vergangenheit "nachdrücklich bewiesen, dass sie alles andere als sauber und sicher ist". "Tausende Menschen sind an den Folgen von Atomenergie gestorben oder leiden schwer darunter. Wir müssen mit Innovation, mit erneuerbaren Energien für unsere Zukunft besser werden, anstatt der uralten Idee nachzuhängen, Atomenergie sei kontrollierbar."
Atomenergie "reinzuwaschen" sei ein "enormes Sicherheitsrisiko", sagte der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried in einer Aussendung am Montag. "Atomkraft hat sich nicht als nachhaltig herausgestellt, sondern sie hat sich nachhaltig disqualifiziert", so der rote Abgeordnete. Neben der Taxonomie sei EURATOM das Grundübel, fordert die SPÖ den EU-Ausstieg aus Atomenergie.
Und auch die FPÖ sieht in der Atomenergie keine Alternative: "Der Einsatz von Atomkraft zum Klimaschutz ist wie ein schmutziger Lappen zum Fensterputzen. Er wird die Probleme nur vergrößern", verglich der blaue Wirtschaftssprecher Erwin Angerer. Er kritisiert, dass Gewessler auf einen raschen Umstieg auf E-Mobilität setze. Das würde aber einen hohen Stromverbrauch mit sich führen, befürchtet der FPÖ-Abgeordnete.
"Kommissionschefin Ursula von der Leyen zerstört mit ihrem Vorschlag die Glaubwürdigkeit des europäischen Ökosiegels für Finanzinvestitionen", kommentierte der deutsche Europaabgeordnete Michael Bloss (Grüne). Atomkraft und Erdgas auf eine Stufe mit Sonnen- und Windkraft zu stellen, verhöhne die bisherigen Erfolge im Klimaschutz und bremse die Energiewende.
Kritik übte am Samstag auch die Umweltschutzorganisation WWF Österreich: "Nur wenige Wochen nach der Klimakonferenz COP26 opfert die EU-Kommission ihre Führungsrolle in der Klimapolitik für die Interessen der Atom- und Gas-Lobby. Damit könnten Milliarden Euro in schädliche Industrien fließen und einen fatalen Lock-in-Effekt produzieren, der Europa noch weiter vom 1,5 Grad Ziel entfernt", erklärte Jakob Mayr, WWF-Experte für nachhaltige Finanzen, in einer Pressemitteilung.