Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) blieb es an diesem denkwürdigen Freitag vorbehalten, die 180-Grad-Wende der Politik zu verkünden: "Ungeimpfte zur Impfung bringen statt Geimpfte einzuschränken", das war bis heute das Motto der österreichischen Bundesregierung. Die Zahlen veränderten das Spiel: "Es ist uns nicht gelungen, die Menschen zu überzeugen. Die 2G-Regel und der Lockdown für Ungeimpfte haben die Impfbereitschaft erhöht, aber nicht in ausreichendem Maße", gestand Schallenberg sich und seinen Zuhörerinnen und Zuhörern bei der Pressekonferenz ein.
Der Schuldige ist bereits ausgemacht: "Es gibt zu viele politische Kräfte, die gegen die Impfbereitschaft ankämpfen, das ist verantwortungslos!" Angestiftet von diesen Impfgegnern hätten sich zu viele nicht impfen lassen, die Konsequenz seien überfüllte Intensivstationen und "enormes menschliches Leid".
Es sei für viele kein leichter Beschluss gewesen, sich zur Notwendigkeit einer Impfpflicht zu bekennen - sie wird von beiden Regierungsparteien und über alle Bundesländer hinweg mitgetragen. Sie soll ab 1. Februar in Kraft treten.
"Einziger Weg aus dem Teufelskreis"
Schallenberg: "Die Impfquote nachhaltig zu erhöhen ist unser einziger Weg, um aus dem Teufelskreis der Lockdowns herauszukommen, wir wollen keine 5, 6. und 7. Welle."
Ausdrücklich bedankte sich Schallenberg auch bei jenen, "die noch einmal Einschränkungen auf sich nehmen, weil sich zu viele unsolidarisch gezeigt haben". Und schloss mit dem Appell: "Bitte machen Sie mit, maximal 20 Tage lang, damit das Weihnachtsfest gesichert ist."
Ungeimpfte bleiben eingeschränkt
Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) betonte, der Lockdown für die Geimpften solle auf diese 20 Tage beschränkt sein, aber für Ungeimpfte werde es auch nach dem 12. Dezember weiter Einschränkungen geben. Die Details der Impfpflicht würden in den kommenden Wochen gemeinsam mit Sozialpartner und Zivilgesellschaft erarbeitet, und es werde auch ein ordentliches Begutachtungsverfahren geben. In diesem Prozess wird auch die endgültige Festlegung dazu erfolgen, ab welchem Alter die Impfpflicht gibt.
Auch zahlreiche Verfassungsjuristen hätten sich mit dem Thema bereits beschäftigt und bestätigt, dass eine allgemeine Impfpflicht in Zusammenhang mit dem nötigen Schutz der Bevölkerung zu begründen und rechtlich zulässig sei.
Booster nach vier Monaten
Wichtig seien jetzt neben den Erstimpfungen ("die Zahl der Erstimpfungen hat sich durch 2G-Regel allgemein und 3G-Regel am Arbeitsplatz vervierfacht, wir führen derzeit europaweit die Statistik der täglichen Impfungen an") die Booster-Impfungen, also der dritte Stich. Dazu gibt es eine neue Empfehlung des Impfgremiums:
- Für Vektorimpfungen (AstraZeneca, Johnson & Johnson) werde die Impfung wie bisher nach vier Monaten "empfohlen".
- Für Impfung mit RNMA-Impfstoffen (Biontechnik und Moderna)werde die Impfung nun ebenfalls nach vier Monaten "möglich" sein.
- Im Grünen Pass erfolgt eine entsprechende Anpassung.
Mückstein endete mit einem Appell: "Holen Sie sich Ihre dritte Dosis. Machen Sie sich gleich einen Termin aus!" Denn eines belegten die Zahlen: "Wir haben einen Impfstoff, der zu 90 Prozent davor schützt, das man ins Krankenhaus muss, und zu 94% Prozent davor, dass man auf eine Intensivstation kommt."
Juristen sehen Rechtssicherheit
Diese Zahlen und Fakten sind auch für die Juristen Grund genug anzunehmen, dass die Impfpflicht vor Verfassungsgerichtshof und Europäischem Gerichtshof halten wird. Geändert hat sich einerseits die Dramatik der Entwicklung – mehr als 15.000 Neuinfektionen pro Tag, und es wird noch schlimmer. Die medizinische Versorgung in den Spitälern droht nicht mehr sichergestellt zu sein, und das ist dann eine Gefahr, die alle betrifft. Damit wäre die Impfpflicht „verhältnismäßig“, sagen Experten wie Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk und Medizinjurist Karl Stöger. Andererseits verfügt man – im Gegensatz zu früheren Zeitpunkten – heute eben über gesicherte Erkenntnisse über Wirkung und Folgen der Impfung.
Im Frühjahr dieses Jahres gab es einen Spruch des EMGR, der ein Stück weit Rechtssicherheit schuf: Ein Staat in Europa darf Impfungen sogar für Kinder zur Pflicht machen. Allerdings kann das jeder Mitgliedsstaat unterschiedlich handhaben, denn die Länder hätten da einen großen Spielraum. Bei Fragen der Gesundheitsfürsorge könnten die nationalen Behörden am besten beurteilen, was notwendig ist.
Claudia Gigler