Die Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten wird in der Coronakrise hitzig diskutiert. Halten Sie einen Lockdown für Ungeimpfte für zulässig?
CLEMENS JABLONER: Man kann aus gesundheitlichen Gründen in die Grundrechte eingreifen. Einschränkungen für Ungeimpfte halte ich deshalb grundsätzlich für verfassungskonform. Es muss halt eine geeignete, erforderliche und verhältnismäßige Maßnahme sein, die auch faktisch vollziehbar ist. Auch eine verwaltungsstrafrechtlich sanktionierte Impfpflicht halte ich unter diesen Bedingungen für zulässig.
Immer mehr Experten rechnen mit einem weiteren generellen Lockdown. Wäre ein solcher überhaupt verfassungskonform?
Sicher problematisch, weil dann die Geimpften die Last tragen müssen für Leute, die sich nicht impfen lassen wollen. Aber letztlich geht es nicht um Schuld, sondern um Gefahr, und wenn diese so hoch ist, dass sie nur mehr ein allgemeiner Lockdown bannen kann, dann wäre sogar diese Maßnahme verfassungskonform.
Politische Zurufe und öffentliche Diskussionen: Wie stark nimmt die Politik Einfluss auf die Justiz?
Wenn Politiker betroffen sind, wird schon versucht, ein gewisses Klima zu erzeugen. Das ist mediale Prozessführung. Erfolgreich ist das, glaube ich, nicht.
Hätte sich Justizministerin Alma Zadic angesichts von Aussagen wie „linke Zellen in der Justiz“ deutlicher zu Wort melden müssen?
Ich denke, dass sie das Notwendige gemacht und sich deutlich deklariert hat. Die Justiz muss auch etwas aushalten – sie ist so stark und selbstbewusst, dass sie keine übertriebene Fürsorge braucht.
Was haben Sie sich gedacht, als ÖVP-Korruptionsaffäre und Chatprotokolle öffentlich wurden?
Ich habe das relativ leidenschaftslos zur Kenntnis genommen. Das ist ein Problem des konservativen Lagers. Die bürgerliche Partei muss sich überlegen, was ihre Kommunikationsstandards sind. Dass Thomas Schmid eine Bruchstelle in diesem System ist, ist schon länger klar.
Auf Basis Ihrer Kenntnisse der Causa – wird es Anklagen geben?
Die Vernehmungen sind im Gang; was dabei rauskommt, ist offen. Im Fall des ehemaligen Bundeskanzlers geht es um Beitragstäterschaft. Das ist an sich schon sehr kompliziert.
Wie beurteilen Sie den Vorwurf der medialen Vorverurteilung?
Strafrechtlich muss sich erst herausstellen, ob etwas dran ist. Die Medien handeln im Rahmen ihrer verfassungsrechtlich geschützten Freiheit. Natürlich ist es unangenehm, wenn private Korrespondenz öffentlich wird, doch gilt hier – wie auch sonst im Leben - das Prinzip des unangenehmen Zufalls.
Sollen Ermittler solche Zufallsfunde verwenden dürfen?
Die Staatsanwaltschaft muss Verdachtsmomenten nachgehen – egal, wie sie dazu kommt. Das ist das Risiko, wenn jemand zumindest im Vorfeld der Kriminalität agiert. Auch beim Dieb, der seinen Ausweis verliert, ist das ein Zufallsfund.
Rechnen Sie mit einer Rückkehr von Sebastian Kurz ins Kanzleramt?
Eigentlich nicht mehr. Es geht ja nicht um die Chats, sondern um seine Art Politik zu machen. Angesichts der ernsten Krisen brauchen wir eine Politik, die eine Einigung der Menschen anstrebt und nicht deren stete Spaltung. Ich glaube, dass Alexander Schallenberg, den ich von meiner Regierungstätigkeit her kenne, da schon andere Akzente setzen kann.
Haben Sie angesichts der Regierungskrise damit gerechnet, bald wieder Interimsminister zu sein?
Nein, das war nicht einmal in der Nähe, und ich weiß auch nicht, ob ich das wieder gemacht hätte.
In Österreich darf, im Gegensatz zu Deutschland, aus Ermittlungsakten zitiert werden. Sind Sie für eine Gesetzesänderung?
Ein Verbot aus Akten zu zitieren, halte ich für eine zu große Einschränkung der Medienfreiheit. Leaks lassen sich schwer vermeiden, weil viele Anwälte in die Akten hineinschauen und sie mit unterschiedlichen Interessenslagen verwenden können. Die Justizministerin plant jetzt, Akten mit digitalen Wasserzeichen zu markieren, damit man verfolgen kann, woher sie stammen. Das ist sinnvoll. Die Staatsanwaltschaft hat wenig Interesse daran, dass Ermittlungsdetails publik werden, weil das die Wahrheitssuche eher erschwert. Wenn etwas wirklich über das Justizpersonal kommen sollte, dann könnte man das dienstrechtlich behandeln.
In dem Komplex rund um Ibiza- und Chat-Affäre gibt es unzählige Beschuldigte, Ermittlungsstränge und Anwälte, die ein Interesse haben, Dinge an die Öffentlichkeit zu spielen. Was halten Sie von einer Trennung in mehrere Verfahren?
Das ist eine strafprozessuale Frage. Große Verfahren haben den Vorteil, dass allen möglichen Interdependenzen nachgegangen werden kann. Die Personen tauchen in unterschiedlichen Zusammenhängen auf, das hat auch verfahrensökonomische Aspekte. Ich habe Vertrauen in die Gestion der Staatsanwaltschaft und glaube, dass sie es richtig macht.
Wie lassen sich die langen Verfahrensdauern verkürzen?
Da fällt einiges zusammen: Komplexität der Verfahren, fehlende personelle Ressourcen, internationale Aktenanforderungen, Anwälte, die über Verfahrensdauern klagen, aber auch dazu beitragen. Das ist eine wunde Stelle und die Staatsanwaltschaft, wie alle am Verfahren Beteiligten, muss alles daran setzen, dass Verfahren schneller werden.
Was macht es mit dem Vertrauen in die Justiz, wenn sich WKStA und Oberstaatsanwaltschaft auf offener Bühne duellieren?
Das ist ein Jammer. Das Dreieck zwischen Gerichten, Staatsanwaltschaft und Sicherheitsbehörden ist seit eineinhalb Jahrhunderten nicht gut gelöst. Wenn Fälle schwierig werden und entsprechende Persönlichkeiten damit zu tun haben, kann das leicht explodieren.
Verrennen sich die Korruptionsermittler manchmal in ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit?
Gelegentlich passieren sicher Fehler. Die BVT-Geschichte war kein Glanzpunkt. Aber das Gesamtbild ist trotzdem, dass sich die WKStA bewährt.