Scharfe Kritik an der Islamlandkarte der Dokumentationsstelle politischer Islam übte am Montag Europarats-Beauftragter Daniel Höltgen. Deren Veröffentlichung sei muslimfeindlich und potenziell kontraproduktiv. Viele Muslime fühlten sich stigmatisiert und durch die Veröffentlichung von Adressen und anderer Details in der Sicherheit bedroht. "Die Islamlandkarte sollte daher in ihrer gegenwärtigen Form zurückgezogen werden", empfahl Höltgen in einer schriftlichen Stellungnahme.
Die Veröffentlichung der Islamlandkarte Österreichs wirke aufgrund von Form und Zeitpunkt auf viele muslimische Gläubige als Generalverdacht gegenüber dem Islam; die Landkarte könne somit antimuslimische Ressentiments bedienen.
Die Bekämpfung des Extremismus und gefährlicher Ideologien gehöre heute zu den wichtigsten Aufhaben der inneren Sicherheit. "Leider schießt die Islamlandkarte Österreichs über das Ziel hinaus und ist daher potenziell kontraproduktiv", so Höltgen.
Drohungen auch gegen Raab
Die Wogen gehen weiter hoch. Nach den Islam-Experten Mouhanad Khorchide und Ednan Aslan hat es indes auch Drohungen gegen Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) gegeben. Laut einem Sprecher der Ministerin wurde das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) informiert, es gehe vor allem um Drohungen über Soziale Medien.
Es sei nie lustig, wenn man bedroht werde, schon gar nicht hochschwanger, meinte die Integrationsministerin bei einer Pressekonferenz Montagvormittag. Daran gewöhne man sich nie. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) ärgerte sich, dass solche Drohungen fast schon normal seien. Hier brauche es einen gesellschaftlichen Diskurs, um wieder zu einem vernünftigen Umgang auch bei kontroversiellen Themen zu kommen.
Die "Islamlandkarte" halten die Minister auch für eine Art Service für die Muslime im Land. So sähen diese, wo es extreme Einrichtungen gebe. Die Kritik daran versteht die Integrationsministerin nicht. Es gehe darum Transparenz zu schaffen. Man wolle aufklären, wo welche Inhalte verbreitet würden und um eine Trennung zwischen dem Islam als Religion und dem politischen Islam.
Zur Kritik von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) meinte Raab, wenn man wie in der Bundeshauptstadt Integrationsprobleme verstecke, sei man am Holzweg. Die Augen vor der Realität zu schließen, lehne sie ab. Ein Sicherheitsrisiko für die muslimischen Einrichtungen durch die Landkarte sieht sie nicht, wären doch alle Adressen öffentliche Daten.
Kritik an "Generalverdacht"
Kritik gab es unter anderem daran, dass die sogenannte "Islam-Karte", die über 600 islamische Organisationen in Österreich erfasst und näher beleuchtet, einen Generalverdacht gegen Muslime suggerieren könnte - was Integrationsministerin Susanne Raab bestritt. Die Muslimische Jugend Österreich (MJÖ) will gegen die von Raab beworbene "Islamlandkarte" klagen. "Die Veröffentlichung sämtlicher Namen, Funktionen und Adressen von muslimischen und als muslimisch gelesenen Einrichtungen stellt eine nie dagewesene Grenzüberschreitung dar", hieß es in einer Aussendung am Samstag. Man werde alle juristischen Möglichkeiten dagegen ausschöpfen.
"Diese Kriminalisierung muslimischen Lebens muss so schnell wie möglich beendet und die Islam-Landkarte offline genommen werden", fordert die Muslimische Jugend. Sie kritisiert die Verletzung von Persönlichkeits- und Datenschutzrechten von Einrichtungen und Privatpersonen. Welche Schritte genau ergriffen werden sollen, wird nach Angaben einer Sprecherin derzeit von der Anwältin der Organisation geprüft.
Evangelische Kirche übt scharfe Kritik
Die evangelisch-lutherische Bischof Michael Chalupka stellt sich in der Debatte um die "Islamlandkarte" hinter die Vertreter der Muslime. Er forderte Integrationsministerin Raab am Freitag auf, das Projekt vom Netz zu nehmen und meint, die Religionsagenden wären im Bildungsministerium besser aufgehoben.
Der Landessuperintendent der evangelisch-reformierten Kirche in Österreich (Evangelische Kirche H.B.), Thomas Hennefeld, stieß am Montag nach und empfahl wie bereits der evangelisch-lutherische Bischof Michael Chalupka zuvor der Integrationsministerin, die "Islamlandkarte" schnell wieder vom Netz zu nehmen.
Zuvor hatte schon die Universität Wien die Verwendung ihres Logos für die Landkarte untersagt.
Vertreter der auf der "Islam-Landkarte" geouteten Vereine sehen sich gefährdet, weil einige Vereine dort mit der Privatadresse der verantwortlichen Personen gelistet werden. Darauf verweist auch Chalupka und kritisiert, dass mit der gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft der Muslime darüber kein Gespräch geführt wurde. Auch die Evangelische Kirche würde sich "eine Landkarte verbieten, in der ihre Einrichtungen, oder gar Einrichtungen, die mit ihr nichts zu tun haben, vom Staat in die Öffentlichkeit gebracht werden", sagte Chalupka im Evangelischen Pressedienst. "Das Integrationsministerium findet, so scheint es, nicht die richtige Haltung zur Religionsfreiheit", findet der Bischof. Er könne sich daher eine Rückkehr der Religionsagenden ins Bildungsministerium vorstellen.
Uni untersagt Regierung Nutzung
Schon zuvor hatte die Universität Wien dem Projekt der "Dokumentationsstelle politischer Islam" der Regierung die Verwendung ihres Logos untersagt. Rektor Heinz Engel stößt sich insbesondere an dem Impressum, in dem zur Meldung von "Informationen zu einzelnen Vereinen oder Moscheen" aufgefordert wird. Das Logo wurde daher am Freitagnachmittag von der Homepage genommen. Dort prangt nun der Hinweis, dass es sich dabei um ein Projekt des Instituts für islamisch-theologische Studien der Universität Wien handelt.
Projektleiter Ednan Aslan ist Professor für islamische Religionspädagogik an dem Institut. Ziel der online abrufbaren Landkarte ist laut Dokumentationsstelle, einen Überblick über muslimische Einrichtungen zu geben und jene zu identifizieren, die dem politischen Islam zuzurechnen sind.
"Rassismus wird befeuert"
Scharfe Kritik kam zuletzt vor allem von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ). Das Projekt befeuere Rassismus. Vertreter der betroffenen Vereine kritisierten die Veröffentlichung von Privatadressen am Freitag außerdem als "enormes Sicherheitsrisiko", wie der Vorsitzende der Muslimischen Jugend Österreich (MJÖ), Adis Serifovic, im Ö1-"Mittagsjournal" sagte. Auch Jugendvereine und Kinderorganisationen seien mit Privatadressen verzeichnet. Er befürchtet rassistische Anfeindungen und Übergriffe - wie auch der Moscheenbetreiber ATIB. Eine mögliche Gefährdung von Muslimen in Österreich befürchtet auch die Organisation SOS Mitmensch.
Im Integrationsministerium sah man am Freitag kein Problem mit der Veröffentlichung der Adressen. Gegenüber Ö1 hieß es, diese seien aus dem Vereinsregister, wo man diese auch abrufen könne. Dem widersprach allerdings Medienanwältin Maria Windhager. Sie verwies darauf, dass Sammelabfragen (etwa nach allen islamischen Vereinen, Anm.) nach dem Vereinsgesetz nicht zulässig sind. Aus ihrer Sicht könnten Unterlassungsansprüche gegen die Landkarte geltend gemacht werden.
Kurz verteidigt Projekt, Kogler sieht Fragezeichen
Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) stellte sich hinter das Projekt. Bei der Islamkarte handle es sich um ein wissenschaftliches Projekt von anerkannten Professoren. Er sei davon überzeugt, dass dieses einen positiven Beitrag leisten können und leisten werde. Die Grünen distanzierten sich von dem Projekt. "Im konkreten Fall gibt es da mehrere Fragezeichen offenkundig", meinte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) am Freitag.