Bis Mittwoch konferiert Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) mit den Spitzen der Sozialpartner und mit den Landeshauptleuten. Danach berät sich Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) noch einmal mit den Experten. Am Freitag wird der Sack zugemacht: Alles deutet derzeit darauf hin, dass die nächsten Lockerungsschritte bereits am 10. Juni in Kraft treten. Nicht zuletzt die Eröffnung der Fußball-EM tags darauf dürfte eine Rolle gespielt haben – Public Viewing mit Maske und Abstand wäre schwierig.
Insgesamt geht es vor allem um
- die Maskenpflicht
- die Sperrstunde
- die Abstandsregelung
- die 20-Quadratmeterregel (für Vereine)
- die Beschränkungen für Messen und Events
- die Reisehürden (Einreise-Registrierung)
Insbesondere auch die Landeshauptleute machen dabei Druck auf eine möglichst rasche Öffnung.
Ob einzelne Schritte eine Woche früher oder später erfolgen, das ist für Simulationsforscher Niki Popper egal. Er, auf den ganz Österreich schaut, wenn es um die Vorhersage geht, wie sich die Infektionszahlen entwickeln werden, sagt: "Die Dynamik geht derzeit nach unten, eine Öffnung ist daher von der Gesamtsituation her möglich."
Derzeit liegt die Sieben-Tages-Inzidenz bei unter 50. Bei welchen Zahlen müssten wir wieder nervös werden? "Falsche Frage", sagt Popper: Es gehe nicht um eine absolute Zahl, sondern darum, was mittelfristig passieren werde, wenn man bestimmte Handlungen setze.
Ein Anfang vom Ende
Ist die Pandemie vorbei? Ist der angstfreie Händedruck zur Begrüßung bald wieder möglich? Der Simulationsforscher Popper ist gedämpft optimistisch:
- Die Infektionszahlen sinken, aber nicht mehr so rasch: "Jetzt muss man schauen, ob das so bleibt."
- Alles hängt ab von der Impfbereitschaft, insbesondere auch der Bereitschaft zum zweiten Stich, und von der Aufrechterhaltung der Testmöglichkeiten und des Screening-Programms.
- "Wir dürfen nicht gleich alles Vernünftige über Bord werfen, Hände waschen wäre weiter gut..."
In Bezug auf den Händedruck ist Popper übrigens tiefenentspannt: Keine entscheidende Frage, viele Virologen hätten schon vor der Pandemie keinem mehr die Hand gereicht...
Gewappnet sein für den Herbst
Vieles spreche im Moment dafür, dass das Schlimmste überstanden sei: Die (trotz des aktuellen Schlechtwetters) höheren sommerlichen Temperaturen, die Wirkung der Impfungen, die gestiegene Grundimmunität auch durch die Genesenen. Die Öffnung sei daher möglich, aber es gelte gewappnet zu sein für den Herbst, für den Fall, dass die Infektionszahlen dennoch wieder steigen.
Man könne jetzt vieles richtig machen - oder auch nicht. Es gebe keine "rote Linie" im Sinne einer Zahl, die nicht überschritten werden dürfe, sondern entscheidend sei einerseits weiterhin, wie viele Leute im Spital oder auf der Intensivstation landen, und das seien vermutlich aufgrund der Schutzwirkung der Antikörper weniger, sowie andererseits die Dynamik der Entwicklung.
"Die wahrscheinlichste Variante ist jetzt, dass es eine ganz normale Krankheit wird, wie andere auch." Falls nicht gefährliche Mutationen noch einmal eine andere Entwicklung einleiteten. Die Wahrscheinlichkeit, dass noch einmal ein Lockdown notwendig sei, sinke. Es ist also vorbei, aber noch nicht ganz. Popper: "Wir haben im ersten Quartal des heurigen Jahres vieles richtig gemacht, die Ausbreitung der Mutationen ganz stark verlangsamt. Aber da hatten wir halt noch keine Wirkung der Impfung. Jetzt flacht sich die Dynamik noch mehr ab, und wir haben die nötigen Instrumente, jetzt müssten wir es schaffen."
Grippe-Fälle dürften steigen
Verzweiflung sei also nicht mehr angebracht, Sorglosigkeit aber auch nicht: Wenn die Politik jetzt meine, sämtliche Infrastruktur für Testen und Screening schon bald wieder ersatzlos abschaffen zu können, dann habe er Sorge. Weiterhin genau hinschauen, lokal reagieren, weiter auf die Impfbereitschaft drängen - das sei eine erfolgversprechende Strategie.
Interessant: Popper rechnet damit, dass Corona im Herbst vielleicht in den Hintergrund, anderes aber wieder in den Vordergrund rückt. "Wir haben andere Erkrankungen, wie die Influenza oder respiratorische Infekte, ein Jahr lang mit verhindert, mit einem möglichen Nebeneffekt, nämlich dass die Menschen in dieser Zeit keine Immunisierung dagegen aufgebaut haben." Es könnte also sein, dass sich ab Herbst dann diese Fälle wieder mehrten.
Hoffnung für die Nachtgastronomie
Am wenigsten Perspektive gibt es für die Nachtgastronomie. Gibt es überhaupt eine? "Ja, aber...", sagt Popper. "Gerade die Nachtgastronomie müsste ganz großes Interesse daran haben, dass die Zahlen insgesamt am Boden bleiben. " Und die Impfmöglichkeit für junge Menschen sei eine zusätzliche Hoffnung. "Wenn wir die Pandemie in Summe wieder im Griff haben, wenn die Infektionszahlen insgesamt am Boden bleiben, kann man die gesamte Gastronomie wieder aufsperren."
Diese Rückkehr zur Normalität bedeute nicht das Null-Risiko, sondern den größtmöglichen Nutzen von möglichst wenig Beschränkung: Die Wissenschaftler seien die "Advokaten des Nutzens", deren Aufgabe es sei, nur so lange eine Beschränkung der Bürgerrechte zu vertreten als diese notwendig sei.
Auch der Grüne Pass werde daher eine Erscheinung auf Zeit sein. Irgendwann reagiere das System auf Infektionsreize so träge, dass die Gesamtdynamik durchbrochen sei, der Anstieg nicht mehr besorgniserregend. Erstes Ziel sei jetzt einmal, in der witterungsmäßig günstigeren Zeit, im Sommer, "die Dinge so geregelt zu kriegen, dass die Zahlen auch im Herbst unten bleiben".
Claudia Gigler