Es ist ein Planspiel unter Verfassungsjuristen - aber ein hochinteressantes: Sollte der Verfassungsgerichtshof entscheiden, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nicht seiner Pflicht nachgekommen ist, ihm ausreichend Mails und andere Akten aus der Zeit der türkis-blauen Koalition zu übermitteln, könnte er den Bundespräsidenten bitten, diese Dokumente zwangsweise beizuschaffen. Und Alexander Van der Bellen könnte in der Folge eine beliebige Behörde beauftragen, das Kanzleramt nach solchen Mails zu durchsuchen - zum Beispiel die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft.
Aber von vorne: Der VfGH berät derzeit über Aktenlieferungen des Kanzlers für den Ibiza-Untersuchungsausschuss - eine Entscheidung steht Mitte Mai an, heißt es aus dem Höchstgericht. Das Kanzleramt hatte dem VfGH vergangene Woche zwar 692 Mails von Mitarbeitern übermittelt - darin gab aber nur jeder zu Protokoll, in einem "umfassenden Suchprozess" keine für den Untersuchungsgegenstand "abstrakt relevante Akten und Unterlagen" gefunden haben.
Opposition will auch Kurz' persönliche Mails
SPÖ, FPÖ und Neos hatten sich in dieser Sache an das Höchstgericht gewandt: Der Ausschuss hätte kein einziges Mail und keinen einzigen Kalendereintrag des Bundeskanzlers aus seiner Amtszeit 2017 bis 2019 erhalten. Kurz war darauf hin vom VfGH aufgefordert worden, die geforderten Akten, E-Mails und Chatnachrichten dem Höchstgericht zu übermitteln.
Kurz lieferte aber nur besagte "nichts gefunden"-Mails. Der Kanzler selbst hatte mehrfach erklärt, alles, was mit dem Untersuchungsgegenstand zu tun hat, seu auch geliefert worden, vieles dagegen sei nach seiner Abwahl 2019 gelöscht worden. "Was es niemals gegeben hat und auch alles, was vernichtet worden ist, das kann selbstverständlich nicht geliefert werden", erklärte Kurz.
Bundespräsident darf Behörde auswählen
Nun muss der VfGH entscheiden, ob ihm das ausreicht - oder ob er selber beurteilen will, was für den Ausschuss relevant ist und was nicht (was eigentlich seine Rolle ist).
In diesem Fall kommt dann der Bundespräsident ins Spiel. Nach Artikel 146 Abs.2 Bundes-Verfassungsgesetz obliegt ihm die Exekution solcher Erkenntnisse des VfGH. Wenn die 14 Richter entscheiden, Van der Bellen anzurufen, kann dieser eine beliebige Bundes- oder Landesbehörde anweisen, die betreffenden Akten zu beschaffen.
Verfassungsjurist Theo Öhlinger nennt als Beispiel etwa die WKStA, die Van der Bellen ins Bundeskanzleramt schicken könnte, um zu überprüfen, ob es noch entsprechende Mails gibt.
Wie im Ortstafelstreit
Bis dato ist eine derartige Exekution durch den Bundespräsidenten aber noch nicht vorgekommen - ähnliche Planspiele gab es etwa im Ortstafelstreit, wo debattiert worden war, der Präsident könnte das Bundesheer beauftragen, die seitens der Kärntner Politik abgelehnten zweisprachigen Ortsschilder aufzustellen.
Dazu kam es jedoch nie - und auch im aktuellen Fall ist nicht unwahrscheinlich, dass Van der Bellen eher vermitteln würde, als sofort eine Behörde zu schicken.
Georg Renner