Er schien wie der ideale Kandidat: Als die Grünen im Jahr 2019 mit der ÖVP darüber verhandelten, ob sie miteinander eine Regierung bilden könnten, galt Rudolf Anschober von Anfang an als gesetzt. Als Verhandler - und als Regierungsmitglied. Kein anderer Grüner hatte so viel Erfahrung mit dem Gegenüber wie er.
Immerhin brachte er zwölf gemeinsame Regierungsjahre in Oberösterreich mit. Kompetenz in Sozialpolitik und Erfahrung mit Kampagnen. Und - durch eine persönliche Gesundheitskrise geeicht - auch einen bewussten Umgang mit Stress. Anfang 2020 zog Anschober als Minister ins Sozialministerium auf der Ringstraße ein, sein Büro lag in der ehemaligen Wohnung des k. u. k. Kriegsministers. Er holte seine ehemalige Büroleiterin aus Linz als Kabinettschefin nach Wien.
Dann kam Corona
In seinem Kabinett war man gefasst darauf, in einer schwierigen Koalition den Ausgleich zu finden. „Leben und leben lassen“ war schon in Oberösterreich Anschobers Motto gewesen. Man war gefasst darauf, eine umfassende Pflegereform in die Wege zu leiten. Und darauf, die Österreichische Gesundheitskasse aufzubauen. Man war nicht gefasst darauf, in die größte Gesundheitskrise seit hundert Jahren zu schlittern.
Kommentar von Georg Renner
Fast seine gesamte Amtszeit war Rudolf Anschober ausschließlich mit der Bewältigung der Coronakrise befasst. Unzählige Male trat er vor Kameras, zeigte Infektionsverläufe auf Kurven, verkündete Maßnahmen und mahnte, dass die nächsten Wochen entscheidend sein werden. Seine ruhige Art empfanden manche als kalmierend und staatstragend - andere kritisierten sie als esoterisch, verwirrend und im Widerspruch zur Botschaft.
„Er hört immer zu und wird nie laut“, sagt einer der Experten, mit denen Anschober sich seit mehr als einem Jahr mehrmals pro Woche berät. „Er trifft nicht gerne Entscheidungen und will niemandem auf die Füße steigen“, hört man aus der Beamtenschaft in seinem Ministerium.
Zähne zeigen und Atemübungen
Das war nicht immer so: Als die Grünen aus dem Nationalrat geflogen waren und in der Bundespolitik kaum mehr vorkamen, gründete er eine Initiative für Asylwerber in Lehre, mit der er österreichweit Beachtung fand. Damit zeigte er auch seinem früheren Koalitionspartner die Krallen: Als Mitstreiter konnte der Schwarz-Grün-Verbinder auch den ehemaligen ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner gewinnen.
Kraft sammelt Anschober bei täglichen Spaziergängen mit seinem Hund und Entspannungsübungen. Die Routine legte er sich zu, seit er 2012 wegen eines Burn-outs mehrere Monate aus der Politik ausschied. Doch er kam zurück und wurde sogar Gesundheitsminister in einer Zeit, als der Job so schwierig war wie noch nie zuvor. Er sei gestärkt aus der Krise hervorgegangen, erzählt Anschober im kleinen Kreis. Doch das war vor Corona. Diese Krise war noch stärker als er.
Veronika Dolna