Die klassische Funktion der Opposition ist die Kontrolle der Regierungspolitik, doch die Krise ließ Bevölkerung und Parteien zumindest am Anfang zusammenrücken: Im April 2020, also vor genau einem Jahr, haben die Österreicherinnen und Österreicher die Regierungspolitik in hohem Ausmaß unterstützt und auch von der Opposition eine Art "Burgfrieden" erwartet, wie die damalige Befragung im Rahmen des Corona Panel der Uni Wien ergab.
Es gab keine klare Zweiteilung innerhalb der Anhängerschaft der Regierungsparteien und der Oppositionsparteien. Rund ein Drittel der Wählerinnen und Wähler der Oppositionsparteien sprach sich für eine zurückhaltende Oppositionspolitik aus und rund ein Viertel für mehr Freiheiten für die Regierung durch das Parlament.
Die Schar der ÖVP-Sympathisanten stand dabei ziemlich deutlich hinter der Bundesregierung. Beim grünen Wahlvolk waren hingegen schon damals die Anteile jener, die klar Zurückhaltung von Seiten der Opposition verlangen, die Vorschläge der Opposition ausreichend berücksichtigt sehen, und der Bundesregierung eine „lange Leine“ zugestehen würden, deutlich kleiner als bei den ÖVP-Wählern.
Die grüne Tradition, dass es einer starken Opposition zur Regierung bedarf, war auch nach ihrem Rollenwechsel in eine Regierungspartei und selbst in einer Krisensituation erkennbar.
Gespalten zwischen Regierung & Opposition
Das hat sich inzwischen noch verstärkt. Die Erwartungen, die Bürgerinnen und Bürger an die Opposition richten, haben sich im Verlauf der Krise deutlich verändert – in Richtung der Ausübung der „klassischen“ Oppositionsrolle statt der Praktizierung einer „Burgfriedenspolitik“. Das zeigt die jüngste Auswertung der Befragungen des Corona Panels der Uni Wien.
Die Rückkehr zur Hoffnung in die Kraft der Opposition gilt vor allem für die Wählerinnen und Wähler der Oppositionsparteien, in geringerem Ausmaß aber auch für jene der Regierungsparteien. Dennoch gibt es noch immer auch viele Anhänger der Oppositionsparteien, die sich in der Krise eine zurückhaltende Oppositionspolitik wünschen.
"Leider haben sich die Oppositionsparteien nach dem nationalen Schulterschluss zu Beginn der Corona-Pandemie schnell für einen Kurswechsel entschieden", erklärte ÖVP-Generalsekretär Axel Melchior denn auch zum Jahreswechsel. Insbesondere vom Vorgehen von Neos und Freiheitlichen zeigte er sich "fassungslos".
SPÖ zerrissen
Die SPÖ ist hin- und hergerissen: Parteichefin Pamela Rendi-Wagner fährt als Virologin und damit Corona-Expertin einen Kurs, der von großem Verantwortungsbewusstsein getragen ist. Andere in der Partei gehen stärke auf Distanz zum Regierungskurs, auch um damit politisch Kasse zu machen. Gerade eben, mitten aus dem Oster-Lockdown des Burgenlandes heraus, übte auch Burgenlands SPÖ-Chef Hans Peter Doskozil wieder massive Kritik an der Bundeseregierung mit Kanzler Sebastian Kurz ("aus meiner Sicht ist es erbärmlich, was da gerade abgeht").
Auch bei den Grünen knirscht es
Es knirscht allerdings auch im Gebälk des Regierungspartners, der Grünen. Offiziell hält die Front, aber je mehr die grünen Gefolgsleute an der Peripherie sind, desto lauter wird die Kritik am Kurs im Wien. Noch sind es nicht Vizekanzler Werner Kogler oder Gesundheitsminister Rudolf Anschober, auf den die Spitzen zielen, dafür wird aus vollen Rohren gegen ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz geschossen, etwa aus der Trutzberg in Vorarlberg, wo der ehemalige Grüne Bundesgeschäftsführer Harald Walser sich mit dem ehemaligen Neos-Chef Matthias Strolz im Geiste verbündet:
Das Vertrauen der Bevölkerung in Regierung und Institutionen schwindet. Umfragen bescheinigen der Regierungsspitze eine Talfahrt bei Vertrauenswerten. Dennoch: Gäbe es jetzt Neuwahlen, würde sich an der Verteilung der Stimmen derzeit nicht so viel ändern.
Die Autoren des jüngsten Beitrages des Corona-Panels, Marcelo Jenny und Wolfgang C. Müller, kommen zu folgendem Schluss: "In den ersten neun Monaten der Covid19-Krise ist der anfängliche „Rally around the Flag“ Effekt stark zurückgegangen."
Die Bürgerinnen und Bürger, auch die Wähler der Oppositionsparteien haben aber noch immer recht widersprüchliche Meinungen zur Rolle der Oppositionsparteien in der Krise ("Burgfrieden" versus die Erwartung von Kontrolle und Kritik).
Gemischte Gefühle
Parallel dazu habe sich das tatsächliche Verhalten der Oppositionsparteien verändert. Aus der anfänglichen Unterstützung der Regierungslinie (mit dem einen oder anderen „Aber“ in der Debatte) sei eine Mischung aus Konfrontation und Unterstützung durch die Opposition bei Abstimmungen geworden.
Unterscheidet man zwischen Gesetzen mit Covid19-Bezug (99 Gesetze) und solchen ohne (92 Gesetze), dann zeigt sich, dass es bei den Gesetzen ohne Covid19-Bezug wenig Unterschied in den Zustimmungsraten der Oppositionsparteien gibt (die SPÖ unterstütze 60 der 99 Vorlagen, die FPÖ 61 und NEOS 63) während sich bei den Covid19-Maßnahmengesetzen ein recht deutlicher Unterschied zwischen der SPÖ (75 Gesetze unterstützt) und den beiden anderen Parteien zeigt (NEOS 61, FPÖ 60).
Der Faktor Zeit
Anders als die meisten anderen Regierungen der Zweiten Republik verfügt die Koalition aus ÖVP und Grünen über keine Mehrheit im Bundesrat. Gemeinsam können die Oppositionsparteien (31 Sitze) die Regierungsparteien (30 Sitze) überstimmen. Das kostet Zeit - ein kritischer Faktor innerhalb einer Pandemie.
Die Autoren des jüngsten Corona-Panel-Berichts schauten sich die Auswirkungen in Zahlen an: Im Untersuchungszeitraum wurden 181 Gesetzesbeschlüsse des Nationalrats im Bundesrat behandelt, 85 davon mit Covid19-Bezug. Bei 165 Gesetzesvorlagen erfolgte ein rascher Beschluss des Bundesrats, keinen Einspruch zu erheben. In 6 Fällen erfolgte ein Einspruch des Bundesrates, dem ein Beharrungsbeschluss des Nationalrats folgte.
In 12 weiteren Fällen lehnte der Bundesrat eine Gesetzesvorlage im Ausschuss ab. Somit kam es zu keiner Behandlung der Gesetzesvorlage im Plenum des Bundesrats und zum Ablauf der acht Wochen Einspruchsfrist. "Das bewirkte eine größere Verzögerung des Gesetzgebungsprozesses, als es ein rascher Einspruch im Bundesrat getan hätte."
Claudia Gigler