Die Politik zaudert, will keine Verschärfung der Corona-Maßnahmen, obwohl die Zahlen steigen. Nehmen auch Sie im Rahmen ihrer regelmäßigen Abfragen wahr, dass die Leute noch weniger gewillt sind, die Maßnahmen mitzutragen? Oder ändert sich das wieder?
SYLVIA KRITZINGER: Ich glaube, es hat sich wenig geändert, weder in die eine noch in die andere Richtung, auch in Bezug auf die Frage, ob die Befragten die Maßnahmen als angemessen und effektiv betrachten. Was wir aber sehen: dass die Teststrategie immer mehr angekommen ist, in den Köpfen. Wir haben mittlerweile mehr als 50 Prozent, die sich schon zweimal testen haben lassen. Die Anzahl jener, die sich schon viermal oder öfter testen haben lassen, hat sich verdoppelt. Es gibt nur noch 30 Prozent die sagen, sie haben sich noch nie testen lassen, und die Zahl sinkt weiter, natürlich auch deshalb, weil bestimmte Dinge, etwa der Friseurbesuch, nicht anders gehen.
Auch die Politik lobt sich selbst über den grünen Klee, weil wir in Sachen Testen im internationalen Vergleich an der Spitze liegen. Alles gut?
KRITZINGER: Das Problem sind genau die 30 Prozent, es wäre extrem wichtig, auch sie zu erreichen. Denn wir sehen: Die Anzahl von Personen, mit denen sich die Menschen treffen, ist unabhängig davon, ob sie sich testen lassen. Man trifft sich nicht mit mehr Menschen, WEIL man getestet ist, aber auch mit weniger, obwohl man NICHT getestet ist. Wenn sich Nicht-Getestete trotzdem mit anderen treffen, funktioniert die Strategie nicht.
Sie sprachen den Umstand an, dass durch die Bindung des Friseurbesuchs an Tests ein Schub erfolgte. Sollte es eine solche Vorschrift auch für den Handel geben?
KRITZINGER: Das könnte in die richtige Richtung gehen im Bemühen darum, auch den "harten Kern" zu erfassen und damit auch einen noch besseren Überblick über das Pandemiegeschehen zu haben.
Sie haben uns vor kurzem im Interview gesagt, das, was die Regierung kommuniziert, ist nicht klar, dadurch werden Unsicherheit und Misstrauen gefüttert, und es entstehen Missverständnisse. Was hat die Politik inzwischen schon "richtiger" gemacht, was nicht?
KRITZINGER: Das Schauspiel der letzten paar Tage in Bezug darauf, wie sich Bund und Länder gematcht haben, war nicht unbedingt vertrauensfördernd. Die Bürger kriegen mit, dass sich nicht einmal die Politik einig ist. Und die Tatsache, dass zwischen Verkündigung und Implementierung der Maßnahmen eine Woche vergeht, lässt die Überlegung zu, "so schlimm kann's ja nicht sein". Vorarlberg hat gezeigt, wie man es anders macht, mit der Schließung unmittelbar nach dem Erkennen des Kindergarten-Clusters. Ein weiterer Punkt: Wenn ständig vermittelt wird, es hält sich eh keiner dran, dann hat das auch eine Auswirkung auf die Einstellung zu sich selber. Wenn man davon überzeugt ist, dass sich der Nachbar an nichts mehr hält, warum soll man es dann selber tun? Da entsteht eine Spirale nach unten, es ist fast wie ein Freibrief von der Politik. Wenn Sie mich fragen: da kann man noch viel verbessern in der Kommunikation.
Ist es nicht erstaunlich, dass - trotz aller Debatten über Astrazeneca - zumindest die Impfbereitschaft nicht sinkt?
KRITZINGER: "Ich bin eher überrascht davon, dass sie nicht steigt. Sie hat sich eingependelt bei knapp 50 Prozent, die sich ehebaldigst impfen lassen wollen, keine Veränderung seit Dezember. Angesichts der Mutationen und Einschränkungen wundert es mich, dass die Impfbereitschaft nicht höher ist. Natürlich ist das Vertrauen durch die Debatte über AstraZeneca gesunken, aber von der Normalität des Lebens sind wir halt auch noch weit weg, und es wird immer ja kommuniziert, die Impfung wäre ein Weg dorthin. Außerdem sehen wir ja auch schon, dass das mit dem Impfen gut funktioniert.
Apropos Testen und Impfen: Glauben Sie, dass die Leute schon bereit sind für eine App, die all diese Informationen enthält und als "Eintrittskarte" für Gasthaus, Kino oder Fußballmatch dient?
KRITZINGER: Wir haben das im vergangenen Jahr in Zusammenhang mit der Corona-App abgefragt. Ab dem Zeitpunkt, wo diese mit dem Wort "Verpflichtung" in Zusammenhang gebracht wurde, war sie tot. Die Zustimmung war nicht mehr da, obwohl der Datenschutz da besser ist als bei jeder einzelnen Amazon-Bestellung. Hier ist es extrem wichtig, dass man sehr sensibel vorgeht. In der Kommunikation muss der Anreiz im Vordergrund stehen. Alles, was mit Zwang und Verpflichtung zu tun hat, wird auf negative Reaktionen stoßen. Zu einem "milden Zwang" würde es ja ohnehin kommen, weil die Erleichterungen dann eben daran gebunden wären.
Claudia Gigler