Es war eine Bemerkung am Rande der Präsentation des "Grünen Zertifikats", die aufhorchen ließ: Aus der EU wurden seit dem 1. Februar nach Angaben der EU-Kommission mindestens 41 Millionen Dosen Corona-Impfstoff in 33 Länder exportiert, obwohl in der EU selbst Impfstoff fehlt und Impfungen nur langsam vorankommen. Das lasse sich den Bürgern kaum noch erklären, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Neue Auflagen könnten für jene Länder gelten, die selbst keinen Impfstoff aus dem Land lassen oder die bereits einen höheren Anteil von geimpften Menschen haben als die EU.

Nach ihren Worten gingen allein zehn Millionen Impfdosen aus der EU ins Vereinigte Königreich. Im EU-Vertrag mit Astrazeneca seien zwei britische Fabriken für Lieferungen an die EU vorgesehen. "Wir warten immer noch auf Dosen, die aus Großbritannien bei uns ankommen", sagte von der Leyen. "Dies ist also eine Einladung, uns zu zeigen, dass Dosen aus dem Vereinigten Königreich zu uns kommen und dass wir hier Gegenseitigkeit haben."

Ähnliches hatte einige Tage davor auch schon Ratspräsident Charles Michel gesagt. Großbritannien behaupte zwar, keinen Ausfuhrbann zu haben, sei aber bis jetzt jede Information darüber schuldig geblieben, wie viele Dosen tatsächlich das Land verlassen hätten. Annahme ist: so gut wie keine.

London ist "not amused"

Auf diese Offensive reagierte London zunächst verhalten. Ein britischer Regierungssprecher verwies auf ein Gespräch zwischen Premierminister Boris Johnson und von der Leyen zu Beginn des Jahres. Die Kommissionschefin habe damals zugesagt, dass der EU-Mechanismus zur Exportkontrolle ausschließlich der Transparenz diene. "Wir sind alle auf globale Lieferketten angewiesen", so der Sprecher. Er fügte hinzu: "Wir erwarten, dass sich die EU an ihre Zusagen hält". Auf die Frage, wie Großbritannien die EU bisher in ihrem Impfprogramm unterstützt habe, verwies er auf Beiträge zum Covax-Programm, das ärmeren Ländern Zugang zu Impfstoffen ermöglichen soll. Die Priorität liege aber derzeit darauf, die britische Bevölkerung zu schützen.

Doch kurz darauf wurde der Ton schärfer. Er sei überrascht und enttäuscht von den Äußerungen der EU gewesen, sagte Bauminister Robert Jenrick heute dem TV-Sender Sky. Mittlerweile rechnet auch Großbritannien ab Ende März mit geringeren Impfstoff-Lieferungen. Der Grund dafür ist unklar; das Problem dürfte aber nicht im Königreich selbst liegen, sondern mit "internationalen Lieferschwierigkeiten von AstraZeneca zu tun haben", schreibt die bekannte BBC-Journalistin Laura Kuenssberg auf Twitter.

Für Ursula von der Leyen kommt es auf Gegenseitigkeit und Verhältnismäßigkeit an. "Ich möchte hier ganz klar sein: Wenn sich diese Situation nicht ändert, werden wir darüber nachdenken, die Exporte in impfstoffproduzierende Länder vom Grad ihrer eigenen Offenheit abhängig zu machen", sagte die Kommissionschefin. "Wir werden auch darüber nachdenken, ob Exporte in Länder, die höhere Impfraten haben als wir, verhältnismäßig sind."

Sie fügte hinzu: "Wir sind bereit, alle Instrumente einzusetzen, die wir brauchen, um das zu erreichen." Alle Optionen seien auf dem Tisch. Ihre Vorschläge will sie beim EU-Gipfel nächste Woche zur Debatte stellen. Die USA hat von der Leyen offenbar nicht im Visier. Sie sagte, im Austausch mit den Vereinigten Staaten sei Gegenseitigkeit gegeben, weil Impfstoffkomponenten frei gehandelt werden könnten.

Politisch heikle Entscheidung

Exportbeschränkungen sind für die EU politisch heikel. Denn es ist gewünscht, dass die Pharmafirmen in Europa produzieren und hier neue Standorte aufbauen. Bisher hatte die EU-Kommission betont, solange Verträge mit der EU eingehalten würden, würden Ausfuhren nicht gestoppt. Doch wächst der politische Druck wegen des Impfstoffmangels. Einige Europapolitiker machen sich für einen völligen Exportstopp stark.

Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) warnt vor einem Exportverbot von Impfstoffen aus der EU. "Exportverbote sind eine ganz schlechte Idee", sagte IfW-Präsident Gabriel Felbermayr am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters. "Für die Produktion von Impfstoffen sind wir in der EU ganz massiv von Importen aus anderen Ländern angewiesen. Nicht auszudenken, was passiert, wenn die Handelspartner ihrerseits den Export kritischer Vorprodukte einschränken."

"Exportverbote verschlimmern das eigentlichen Problem: dass nämlich weltweit zu wenig Impfstoff produziert wird", sagte Felbermayr. "Statt Protektionismus ist grenzüberschreitende Zusammenarbeit gefordert, um die Engpässe möglichst schnell zu beheben." Die Bekämpfung einer Pandemie erfordere einen globalen Ansatz, so der aus Österreich stammende Ökonom.