Am Dienstag empfing Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) um 12.30 Uhr die Ministerpräsidenten Bulgariens, Tschechiens und Sloweniens, Bojko Borissow, Adrej Babiš und Janez Janša zu einem Arbeitsgespräch im Bundeskanzleramt in Wien zum Thema "Impfstoffverteilung in der EU". Daran nahmen per Videokonferenz ebenso der Ministerpräsident von Lettland, Krišjanis Karinš, und der kroatische Ministerpräsident Andrej Plenkovic teil.
Im benachbarten Deutschland amüsiert man sich indes königlich über die Vorgangsweise von Kurz. Die FAZ berichtet über die jüngsten Attacken auf die EU unter dem Titel "In Brüssel wird über Kurz' Brief gespottet" und kommt zum Befund: "Eine Wette, die sich nicht ausgezahlt hat".
Gemeint ist der Umstand, dass Österreich - wie auch andere Länder - alle Karten auf AstraZeneca gesetzt hat und nun, durch die Lieferschwierigkeiten und möglichen Nebenwirkungen, zunehmend unter Druck gerät. Die Strategie der EU-Kommission habe darauf abgezielt, von allen erfolgversprechenden Impfstoffen möglichst viele zu bestellen, und diese gleichmäßig auf die EU-Länder aufzuteilen.
Wollte Österreich schlauer sein?
Doch ein paar Länder, darunter Österreich, wollten schlauer sein und hätten auf den Wirkstoff des britisch-schwedischen Herstellers AstraZeneca gewettet, der einer der ersten und billigsten zu sein schien. Genau diese Länder seien es gewesen, die darauf gedrängt hätten, nicht alle zugewiesenen Impfstoffe abnehmen zu müssen, sondern selbst Prioritäten setzen zu können.
Und genau diese Länder gerieten jetzt unter Druck und seien weitgehend identisch mit jenen Staaten, die am Wochenende den Beschwerdebrief nach Brüssel schickten und die "Ungleichverteilung" beklagten.
Der Kurz-Brief habe in Brüssel Kopfschütteln ausgelöst, schreibt die FAZ. Der Verteilungsmechanismus sei alles andere als geheim und alles andere als erst "in den vergangenen Tagen entdeckt" worden. Es sei schwer vorstellbar, dass solche Entscheidungen, ohne Wissen der Regierung, fielen. Es wird ein Diplomat eines anderen Landes zitiert mit den Worten: Wenn Kurz tatsächlich nichts gewusst habe, „dann hat er seinen Laden nicht im Griff“. Wenn er – was wahrscheinlicher sei – sehr wohl informiert war, sei Auer nur ein Bauernopferund der Brief ein Ablenkungsmanöver.
Österreich macht derzeit keine gute Figur auf internationaler Bühne. Zuletzt hatte der TV-Satiriker Jan Böhmermann sein böses Spiel mit uns getrieben, die Vorgänge rund um Ischgl boten ihm reichlich Stoff.
Verzicht auch bei Johnson & Johnson
Neues Unheil - zumindest stimmungsmäßig - kündigt sich in Bezug auf einen weiteren, jüngst zugelassenen Impfstoff an, jenen von Johnson & Johnson. Österreich hat 2,5 Millionen Dosen abgerufen. Vier Millionen wären möglich gewesen. Zwar schlägt diese Impfung 1 zu 1 auf die Zahl der Geimpften durch, weil es hier nur einer einmaligen Impfung bedarf. Aber ein Verzicht auf 1,5 Millionen Dosen bedeutet eben auch den Verzicht darauf, 1,5 Millionen Menschen damit impfen zu können.
Kein Problem aus der Sicht aufs große Ganze - irgendwann einmal wird eine ausreichende Menge an Impfstoffen für alle Österreicherinnen und Österreicher zur Verfügung stehen - 31 Millionen bis Ende des Jahres. Aber es könnte ein weiteres Mal ein Schatten auf die Impfstrategie der Regierung fallen, wenn sich durch geringe Mengen, eines früher zur Verfügung stehenden Impfstoffes, die Durchimpfung insgesamt verzögert.
Von Pfizer 10 Millionen mehr
Von BionTech/Pfizer bekommt die Europäische Union dafür kurzfristig im zweiten Quartal weitere zehn Millionen Dosen Corona-Impfstoff. Mit dieser Frohbotschaft wartete am Dienstag EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen auf. Damit seien, allein von diesem Hersteller, für die Zeit von April bis Juni, insgesamt 200 Millionen Impfdosen für die 27 EU-Staaten zu erwarten. "Das gibt den Mitgliedsstaaten Spielraum, um mögliche Lücken bei den Lieferungen zu stopfen", sagte Von der Leyen.
Martin Selmayr, EU-Kommissions-Vertreter in Wien, lästerte indes auf Twitter: „Wenn etwas schief läuft in Europa, dann ist ‚die EU‘ schuld – selbst wenn Regierungen nicht mit ihren eigenen Beamten gesprochen haben“.
Was Bundeskanzler Kurz als "Basar" bezeichnet, ist für Selmayr, wie eine "institutionalisierte Landeshauptleutekonferenz auf europäischer Ebene". In der ZIB 2 am Montagabend sagt Selmayr, dass bei der Impfstoffverteilung alle Staaten am Tisch sitzen würden und Entscheidungen von allen gebilligt werden müssen, "deshalb sind die Ergebnisse von allen zu verantworten", so Selmayr.
Selmayr wünscht sich jetzt ein gemeinsames Anpacken: "Wir alle wollen, dass es schneller geht. Das erfordert jetzt aber konstruktive Lösungen und keine Schuldzuweisungen", so der Spitzenbeamte.
"Geld genug vorhanden"
Bei der Beschaffung von Corona-Schutzimpfungen gibt es laut Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) kein Budgetlimit. "Heuer sind 120 Mio. Euro im Budget des Gesundheitsministeriums budgetiert, davon ist ein Bruchteil abgerufen", sagte Blümel am Dienstag bei einer Pressekonferenz auf Journalistennachfrage. Es sei "immer klar" gewesen, dass es bei Bedarf mehr Geld für den Kauf von Impfstoff geben werde.
Ob sich der damalige Impfkoordinator Clemens Martin Auer an ein Budget halten musste, ließ Blümel offen. "Das müssen sie den Gesundheitsminister fragen." Das Geld für Impfdosen sei "das bestinvestierteste Geld im Kampf gegen diese Krise", so der Finanzminister. "Wir geben sehr, sehr viel Geld aus in der Covidkrise, wirklich viel Geld. Es wäre absurd, wenn wir gerade bei den Impfdosen sparen würden."
SPÖ schießt sich auf Kurz ein
Die SPÖ übt in der Debatte um die Impfstoffbeschaffung scharfe Kritik an der Bundesregierung. Am Dienstagvormittag schoss sich der rote Vizeklubchef Jörg Leichtfried auf Kurz (ÖVP) ein – dass dieser nicht voll über die Impfstoffbeschaffung informiert gewesen sei, sei "unglaubwürdig".
"Wenn es Schwierigkeiten gibt, bricht die Ankündigungs- und Showpolitik des Bundeskanzlers zusammen", meint Leichtfried. Da helfe es auch nicht, wenn Kurz einen "Gipfel der fünf Geizigen" einberufe, spielte Leichtfried auf das kurzfristig für heute einberufene Treffen mit EU-Amtskollegen an. Kurz habe sich mit seinen Vorwürfen, wonach die Impfstoffbeschaffung in der EU ungerecht vonstattengehe, "blamiert", findet der SPÖ-Abgeordnete. Bei allen "Ausreden und Schuldzuweisungen" trage die Verantwortung letztlich doch Kurz, denn dieser habe das Impfen zur Chefsache erklärt und außerdem mit Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) einen "Kostendeckel" von 200 Mio. Euro für die Impfstoffe einziehen lassen. Man habe also viel zu wenig Budget vorgesehen, damit die Beamten überhaupt genug Impfstoffe bestellen hätten können, schlussfolgerte Leichtfried.
Leichtfried zählte in seiner Pressekonferenz diverse Ministerratsprotokolle auf, aus denen auch hervorgehe, dass die Regierung sehr wohl von der Möglichkeit gewusst habe, Impfstoffe nachzukaufen – so habe Anschober in der Regierungssitzung am 20. Jänner selbst davon berichtet, erklärte der SPÖ-Abgeordnete. Zudem sei das Kurz-Kabinett auch in der Impf-Steuerungsgruppe vertreten, die mehrmals wöchentlich tage.
Aber immer, wenn dem Kanzler dämmere, dass Fehler passiert seien, müsse es einen Schuldigen geben, kritisierte Leichtfried - in diesem Fall zunächst die EU und dann der mittlerweile abgezogene Spitzenbeamte Clemens Martin Auer. Für Leichtfried ist Auer lediglich ein "Bauernopfer". Die politische Verantwortung liege beim Kanzler, beim Gesundheitsminister und beim Finanzminister.