Tino Wieser ist, gemeinsam mit seinem Bruder Luca und Matvei Hutman, Palmers-Vorstand. Derzeit ist er ausgelastet mit der "Hygiene Austria". Buhmann, Selbstverteidiger, Vorwärtsstürmer, dem die Verfolger beharrlich an den Fersen hängen.

Im "Dienst" ist Wieser förmlich rund um die Uhr. In der Früh die neuesten - meist unangenehmen - Nachrichten checken, am Vormittag als"troubleshooter" das Werkl in Gang und die Moral im Betrieb aufrecht erhalten, zu Mittag Medienanfragen aller Art beantworten bzw. selbst die eine oder andere Offensive starten, am Nachmittag warten, ob der ehemalige und irgendwie Noch-immer-Partner von Lenzing anruft, am Abend Unterlagen suchen, Zahlen hinterfragen, Verträge richten, um sich auf die Termine des nächsten Tages mit den Medien, mit der Kriminalpolizei, mit den Wirtschaftsprüfern vorzubereiten.

Die  niederösterreichische Landesgesundheitsagentur hat die von der Hygiene Austria an das Land Niederösterreich gelieferten Schutzmasken vom Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen (BEV) überprüfen lassen. Auch die in China produziertenMasken hätten der  vorgegebenen Norm entsprochen, hieß es am Freitag aus dem Landhaus in St. Pölten. Hat er die "good news" schon an die Lebensmittelketten weitergegeben, bei denen seine Masken auf Eis liegen?

Der "Brandlöscher"

Nein, sagt er. Keine Zeit. Er sei nur noch als "Brandlöscher" unterwegs in diesen Tagen. Für ihn selbst seien es auch keine News, ein Testergebnis von 28. Dezember 2020 hat er parat: 99,5 Prozent Filterwirkung, statt der 94 Prozent, die gesetzlich verlangt werden. Nicht "Made in Austria", aber exakt nach demselben Muster und mit demselben Material fabriziert wie die Masken aus Wiener Neudorf.

Die Vertragspartner für die Beschäftigung der Leiharbeitskräfte schwören ihm Stein und Bein, dass alle Anmeldungen vorliegen, dass alle Löhne gezahlt wurden, dass alles seine Ordnung hat, sagt Wieser. Eine von drei Firmen ist es, die vor allem in Misskredit gekommen ist, die "First Staff". Sie soll einen Monat lang eine Subfirma beschäftigt haben, die die Finanz als Scheinfirma enttarnte. Der Vertrag wurde sofort beendet, wurde Wieser gesagt. Der Schaden ist passiert. Die Subfirma ließ die Arbeiter offenbar hängen, zahlte weder die Löhne aus noch meldete sie bei der Gebietskrankenkasse an. Sagt die Arbeiterkammer.

Im Visier der Arbeiterkammer

Wieser meint, es könne sich um maximal zehn Arbeitskräfte handeln, und auf das Tun der Subfirma habe er keinen Einfluss gehabt. 190 Leiharbeitskräfte seien über seine direkten Vertragspartner beschäftigt, über "First Staff" und eine zweite Firma, die "OBA", und dort sei alles in Ordnung. Per Vertrag habe er sich seinerzeit bestätigen lassen, dass alle angemeldet werden, allen der Mindestlohn ausbezahlt wird. Und es sei auch laufend überprüft worden. Doch auch die OBA ist mittlerweile "aktenkundig" bei der AK: Ein Mitarbeiter behauptet, er habe sein "mickriges Gehalt" nie überwiesen bekommen. "Nicht nachvollziehbar" für den Anwalt der OBA, die einem Steuerberater gehört.

Die "Hygiene Austria" war jedenfalls nicht direkter Arbeitgeber. Dann sei es zumindest ein "Auswahlverschulden", sagt die AK. Arbeitsrechtsexpertin Andrea Ebner-Pfeifer hat nur die Rechte der Arbeitnehmer im Auge, das ist ihre Aufgabe. Die Journalisten rennen ihr die Türe ein. Das Thema "Hygiene Austria" zieht. Festzustellen, was Tino Wieser persönlich dafür kann, dass Arbeitnehmer um ihre Ansprüche gebracht wurden, ist nicht die Aufgabe der AK. Aber es sind Fragen zu stellen:

Die Leiharbeiter

Warum hat er diese Firmen als Vertragspartner gewählt? Warum hat er überhaupt so viele Leiharbeitskräfte beschäftigt bei der "Hygiene Austria", anstatt einen eigenen Stab an Mitarbeitern aufzubauen? "Das deutet darauf hin, dass hier von Anfang an nur kurzfristige Gewinne im Mittelpunkt standen und kein langfristiger Betrieb geplant war", sagte Namensvetter Markus Wieser, Präsident der Arbeiterkammer Niederösterreich, in einem Interview mit dem "Kurier". 

So viele Fragen, so viele Spieler, so viele Baustellen. Bei Tino Wieser, bei der "Hygiene Austria" laufen alle Fäden zusammen. Er ist immer im Spiel.

Wenn man mit ihm spricht, bekommt alles einen Sinn - zumindest versteht man seine Perspektive. Die Maskenproduktion sei  aufgenommen worden, weil Österreich zu wenige Masken hatte und die Politik darauf drängte, dass Österreich vom Besteller zum Produzenten wird. Zuerst war es der Mund-Nasen-Schutz, später die FFP2-Masken. Zuerst waren es drei Maschinen, heute sind es viele, in zwei Hallen, gearbeitet wird in drei Schichten. Die FFP2-Maskenpflicht ließ die Nachfrage explodieren.

Die Corona-Alternative

Palmers und Lenzing seien eingestiegen, weil diese Firmen Corona-Einbrüche zu verdauen hatten. Palmers brachte die Erfahrung in Herstellung und Vertrieb von Textilprodukten ein, Lenzing das Know-how in Bezug auf Beschaffung, Material und Anlagenbau. Die Zahlen, die bei der Bilanzpressekonferenz der Lenzing AG präsentiert wurden, lassen tief blicken: Ein Minus von 10,6 Millionen Euro schrieb die Lenzing im Jahr 2020. Nach einem Gewinn von 114,9 Millionen Euro im Jahr vor Corona.

Kein Renommee für den Konzern, der an der Börse notiert. "Außer Spesen nichts gewesen", sagte Technikvorstand Stephan Sielaff zum Thema "Hygiene Austria" am Donnerstag, bei der Bilanzpressekonferenz der Lenzing. Nicht ganz. Zwar ist noch keine "Gewinnausschüttung" erfolgt, wie Sielaff betont. Aber die Lenzing hat die "Hygiene Austria" erst zu Beginn dieses Jahres, auf Wunsch von Lenzing, voll konsolidiert. Für das Jahr 2020 bildet sich der Erfolg im Beteiligungsertrag ab.  Die Hälfte von rund 8  Millionen Euro nach acht Monaten, abzüglich Steuern. Bleiben für jede der beiden Firmen knapp drei Millionen übrig.

Die Personalnot

Zurück zu den Arbeitern. Warum wurden sie nicht direkt bei der "Hygiene Austria" angestellt? Weil man zuerst noch nicht so viele brauchte, weil man danach Palmers-Leute einsetzte, weil dann, Ende des Jahres, als die Nachfrage sprunghaft stieg, kein Personal zu bekommen war, sagt Wieser. Man habe Inserate geschaltet, vergebens. "Fragen Sie die großen Personalbereitsteller, es ist überall dasselbe. Die guten Leute haben woanders einen guten Job. Die guten Leute von den Personalbereitstellern wandern ab in Fixanstellungen. Einer der arbeitslos ist, oder in Kurzarbeit, für den zahlen sich die 1300 Euro oft nicht aus." Die "Hygiene Austria" habe trotz aller Widrigkeiten 200 Jobs geschaffen, bis zu 300 sollen es werden. "Da hängen viele Familien dran."

Zahlen-Spiele

Tino Wieser ist kein Betreiber einer Würstel-Bude. Er ist Finanzvorstand bei Palmers. Die Zahlen purzeln nur so aus ihm heraus. Gut 10 Euro pro Arbeiter betrage der Mindestlohn, netto seien das rund 7 Euro. Das gehe sich inklusive aller Lohnnebenkosten für die Personalbereitsteller mit den knapp 22 Euro, die er bezahlt habe, locker aus. Das Geschäft mit den Masken sei ein gutes Geschäft. "Glauben Sie, da zahlt es sich für uns aus, ein paar Cent zu sparen und einen Betrug zu riskieren?"

Er habe sich auf der sicheren Seite gewähnt. Wenn 70 Leute zur Schicht "einmarschieren", dann würden den Verantwortlichen bei der "Hygiene Austria" von den Personalverleihern 70 GKK-Anmeldungen vorgelegt. "Was den Arbeitern ausbezahlt wird, das wissen wir nicht, das wäre datenschutzrechtlich gar nicht erlaubt." Aber der Mindestlohn müsse es jedenfalls sein, anderes lasse es die GKK gar nicht zu.

Der Prüfungreigen

Die Arbeiterkammer prüft. Die GPLA, die „Gemeinsame Prüfung aller Lohnabhängigen Abgaben“, wird kommen. Die Kriminalpolizei geht den Verdachtsmomenten nach. Und die Politik brachte sich wieder ins Spiel. "Mindestens 15 Tage" will die Opposition im "kleinen Untersuchungsauschuss" investieren, um Licht ins Dunkel zu bringen. Die Opposition will insbesondere auch wissen, wieso die "Hygiene Austria" so lange als Exklusivanbieter für Masken gegolten hat, ob Wieser vom politischen "Netzwerk" profitierte, von der Schiene ins Kanzleramt über die Frau seines Bruders, die Büroleiterin von Sebastian Kurz.

Insbesondere auch die Grazer Firma Aventrium fühlte sich auf den Schlips getreten. Seit in Österreich auf Wunsch der Politik Kampfpreise von maximal 59 Cent je FFP2-Maske ausgerufen wurden, „ist die Nachfrage Knall auf Fall eingebrochen, mit diesem Preis können wir in Österreich nicht kostendeckend anbieten", sagt Aventrium-Gründer Dominik Holzner, ebenfalls im Sommer 2020 eingestiegen ins vermeintlich große Geschäft mit der Maske. Die "Hygiene Austria" konnte. Die Frage ist, zu welchem unternehmerischen Preis. Das Schicksal, für den österreichischen Markt nur "zweite Wahl" zu sein, teilt Aventrium mit "Hygiene Austria" übrigens, zumindest was den Großauftrag der Masken für über 65-Jährige betrifft. Die kaufte die Bundesbeschaffungsgesellschaft über einen Mittelsmann direkt in China ein.

Der Ausgang des Dramas bleibt offen

Um Tino Wieser herum ist es einsam geworden. Der Hoffnungsträger "Hygiene Austria" wuchs sich für Lenzing zum "gewaltigen Imageproblem" aus.  "Rund um die Uhr" arbeite er "mit all seiner Energie" an der Aufarbeitung dessen, was in Wiener Neudorf passiert sei, sagt Lenzing-Vorstand Sielaff. Vor der Lenzing-Bilanzpressekonferenz war man vor allem darum bemüht, Land zu gewinnen. Der eigene Geschäftsführer wurde vorsichtshalber abgezogen, ein Wirtschaftstreuhänder soll die Hygiene-Austria-Anteile verwalten.

Für Lenzing-Chef Stefan Doboczky ist "das Bild, da sich in den letzten Tagen gezeigt hat, zutiefst verstörend".

Die Masken sind von guter Qualität - sowohl die österreichischen als auch jene aus China. Das Geschäft war ein gutes, und dennoch ist das Unternehmen in der Krise, solange die Betrugs- und Schwarzarbeitsvorwürfe nicht geklärt sind. Wieser rennt. Er will auf jeden Fall weitermachen, die Firma kaufen von Lenzing, falls nötig.

Was Lenzing will, ließ Technikvorstand Sielaff offen: "Wir müssen erst verstehen, was passiert ist."