Den geplanten Lockerungen droht das Aus, bevor sie überhaupt in Kraft treten. Hat die Politik sich übernommen?
GERRY FOITIK: Seit dem 14. Februar gibt es eine exponentielle Entwicklung bei den Fallzahlen. Jetzt liegen wir bei 2000 bis 2500 Neuinfektionen pro Tag, die Verdoppelungsrate beträgt etwa zwei Wochen. Wenn das so weiter geht, haben wir in 14 Tagen, wenn die Öffnungsschritte in Vorarlberg wirksam sein sollen, 4000 bis 5000 Neuinfektionen, am Palmsonntagswochenende dann 8000 bis 10.000. Das ist viel zu viel, weil viel zu viele Menschen schwer krank werden, wenn sich so viele infizieren.
Wurden Schulen, Geschäfte und Friseure zu früh geöffnet?
Aus epidemiologischer Sicht: Ja. Aber die Maßnahmen der Regierung zielen auch auf die wirtschaftliche, soziale, psychische und Bildungssituation ab. Das muss man schon differenzierter bewerten.
Die Zahlen würden naheliegen, dass man Öffnungen sogar wieder zurücknimmt.
Genau. Ich habe, genau wie viele Kollegen, schon im Jänner vorgeschlagen, dass wir eine Zielinzidenz formulieren, von 25 oder 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Es ist besser, dieses Ziel durch einen harten, kurzen Lockdown zu erreichen, als durch eine permanenten leichten Lockdown. Dann kann man mit geringerem Risiko auch leichter schrittweise öffnen. Deutschland versucht diesen Spagat gerade, um dem Impffortschritt eine Chance zu geben, seine Wirkung zu entfalten.
Auch in Österreich hat man das probiert. Die Idee wurde aber bald wieder verworfen mit dem Argument, die Bevölkerung mache nicht mehr ausreichend mit. War das ein Fehler?
Die Angehörigen jener Menschen, die jetzt schwer krank sind oder an dem Virus sterben, werden das sicher als Fehler bezeichnen. Die Menschen, die jetzt wieder ihrer Arbeit nachgehen können oder Kinder in den Schulen unterrichten können, werden wahrscheinlich sagen, das war richtig. Das ist eine Bewertungsfrage.
Die Lockdownmüdigkeit bestätigen auch Daten der Universität Wien. Nur mehr 16 Prozent der Menschen halten die Maßnahmen für effektiv. Wie kommt man da raus?
Es wird immer schwieriger. Den meisten Menschen ist das Virus nicht egal. Die meisten befolgen die Maßnahmen. Die Frage ist, ob man sich von einer Minderheit leiten lässt oder von der Mehrheit. Der Schlüssel ist Kommunikation. Setzen wir uns gemeinsam ein Ziel, und zwar kein zeitliches Ziel, sondern die Inzidenz unter einem bestimmten Wert zu halten. Dafür plädiere ich nach wie vor. Es geht jetzt nur mehr um ein paar Wochen, bis im April große Impfaktionen beginnen. Man schmeißt ja auch nicht ein Studium kurz vor der letzten Prüfung.
Gastronomie, Hotellerie und Kultur fordern aber ein Datum. Sie bekommen Unterstützung von manchen Landeshauptleuten. Das Argument: Die Menschen treffen sich unreguliert zu Hause, wenn alles zu hat. Ist da nicht was dran?
Doch. Auch das Argument, dass Contact Tracing dann einfacher wird, stimmt. Aber es ist ein Mengenthema: Wie viele Menschen treffen sich, wenn es nicht erlaubt ist, mit anderen? Und wie viele werden es tun, wenn es erlaubt ist? Dann sagen die Menschen zurecht: Wenn es erlaubt ist, wird es auch nicht so schlimm sein. Und sehr viel mehr Menschen werden sich treffen.
Zuletzt wurde öffentlich, dass das Rote Kreuz von der Regierung 100.000 Euro im Monat für die Beratertätigkeit bekam. Besteht der Beratervertrag noch?
Ja. Aber die kolportierten Summen stimmen nicht. Wir haben im März 2020 einen Dienstleistungsvertrag mit dem Gesundheitsministerium geschlossen, weil wir ihnen geholfen haben, den Einsatzstab im Gesundheitsministerium aufzubauen. Etwa drei Monate lang haben wir rund fünfzig Menschen im Schichtbetrieb beschäftigt, die den Einsatzstab errichtet, betrieben und dann übergeben haben. Für jeden war ein Tagsatz von 600 Euro pro Tag vereinbart. In Summe waren das von März bis Dezember 2020 362.000 Euro. Das ist weit entfernt von 100.000 Euro im Monat.
Sie selbst sollen am Anfang 10.000 Euro, dann 5000 Euro pro Monat für Ihre Beratertätigkeit bekommen haben.
Ich habe das nie bekommen, sondern mein Arbeitgeber. Damit bezahlt das Rote Kreuz einen Teil meines Gehaltes, die Lohnnebenkosten, die zur Verfügung gestellte Struktur, die Mitarbeiterinnen. Ich bin Angestellter des Roten Kreuz und habe durch die Tätigkeit weder mehr noch weniger verdient.
Veronika Dolna