Welche Verflechtungen gibt es zwischen dem Maskenhersteller, bei dem es am Dienstagnachmittag zu einer Großrazzia kam, und der Politik? Und welche Auswirkungen hatte das Netzwerk der persönlichen Beziehungen?
Die jüngsten Fakten sind bekannt: Die Finanzpolizei marschierte in Wien und in Wiener Neudorf an zwei Firmensitzen der „Hygiene Austria“, Österreichs größtem FFP2-Masken-Hersteller, auf. Die Tochterfirma von Palmers und Lenzing soll im Verdacht stehen, billigen Mund-Nasen-Schutz aus China auf „made in Austria“ umetikettiert und als Qualitätsmasken weiterverkauft zu haben. Zudem wird ermittelt, ob alle Beschäftigten ordnungsgemäß angestellt waren.
Hygiene Austria wies am Mittwochabend Vorwürfe bezüglich "Schwarzarbeit" sowie "Betrug" zurück, räumte aber ein, dass man zum Spitzenausgleich einen chinesischen Lohnfabrikanten beauftragt habe.
Zum Firmenstart im vergangenen Jahr gratulierte Bundeskanzler Sebastian Kurz „Hygiene Austria“ höchstpersönlich im Namen der Republik und sagte damals in einem eigens produzierten Video, dass durch die Gründung der neuen Firma nun eine Produktion „made in Austria“ möglich sei. Bei dem Betriebsbesuch war auch die damalige aus der Steiermark kommende Arbeitsministerin Christine Aschbacher dabei. Auf Twitter verlieh Kurz seiner Freude Ausdruck.
Das ist grundsätzlich nicht anstößig. Keine Frage, dass Politiker immer wieder auch Betriebsbesuche machen, als Ergänzung zum politischen Alltag. Und nachvollziehbar, dass der Kanzler stolz war darauf, dass Österreich nach der schwierigen ersten Zeit der Corona-Krise, in der Masken - ebenso wie übrigens Desinfektionsmittel - in Österreich Mangelware waren, vom Besteller zum Lieferanten wurde.
Nähe zum Umfeld des Kanzlers
Gesprächsstoff liefert allerdings die Tatsache, dass es ein Naheverhältnis der Verantwortlichen im Unternehmen zum Umfeld des Bundeskanzlers gibt: Des Kanzlers Bürochefin Lisa Wieser ist die Schwägerin eines des beiden Geschäftsführer und Teilhabers der Firma, Tino Wieser, und die Gattin von dessen Bruder, Palmers-Chef Luca Wieser. Die beiden Brüder sind gemeinsam mit einem Dritten Vorstände der Palmers Textil AG. Gab es Insiderwissen und Beziehungen, die den Firmen zu einem lukrativen Geschäft verhalfen? Oder folgten die Unternehmen nur einfach der Empfehlung der Politik, eine offene Flanke der Republik zu schließen und die Produktion der Mangelware Masken aufzunehmen?
Die Pressearbeit der Firma "Hygiene Austria" macht Gregor Schütze mit seiner Agentur "Schütze Positionierung GmbH". Er gehört zu jenem Teil des Netzwerks, das in der ÖVP-nahen Schülerunion seine Wurzeln hat. Schütze ist Schlüsselspieler des Kanzlers in der Medienpolitik. Er ist seit 2018 Stiftungsrat des ORF. Zuvor war er ein knappes Jahr lang auch Mitglied der Geschäftsführung von ATV. Im ORF-Stiftungsrat gehört Schütze dem "Freundeskreis" der ÖVP-nahen Stiftungsräte an und kam vorübergehend auch als Vorsitzender des Stiftungsrats ins Spiel.
Jeder mit jedem vernetzt
Jeder ist mit jedem vernetzt. Das ist ganz generell Grundlage des Erfolges von Sebastian Kurz. Schütze und Lisa Wieser kennen sich aus der Zeit, als Schütze Pressesprecher und stellvertretender Kabinettschef im Büro der ehemaligen Innenministerin Maria Fekter war und Wieser, die im Büro des Grazer Bürgermeisters Siegfried Nagl angefangen hatte, dort ebenfalls tätig war.
Als Mann für die Krisen-PR musste Schütze schon im Februar ausrücken, als das Gerücht aufkam, Katharina Nehammer, die Frau des Innenministers, arbeite als Folge einer unzulässigen "Freunderlwirtschaft" bei der Hygiene Austria. Schütze stellte klar: Nehammer arbeite nicht bei Hygiene Austria und verdiene nicht, wie behauptet, im Wege einer Beteiligung an der Maskenproduktion mit. Sie arbeitet aber bei der PR-Agentur Schütze.
Fact Finding und Nervosität
Fachlich ist Schütze auch oder gerade jetzt der richtige Mann am richtigen Ort: Er ist mit seiner Firma auf Krisenkommunikation und Litigation-PR (Kommunikation im Konfliktfall, gemeinhin mit dem Gesetz) spezialisiert. Er sagt derzeit allerdings (noch) nichts. Man sei innerhalb des Unternehmens noch mit dem Fact Finding beschäftigt. Bei Palmers und Lenzing ist man supernervös: Droht doch ein Schatten auch auf die Mutterfirmen zu fallen.
Staatsaufträge für "Hygiene Austria"
Die Bundesregierung stellte größere Staatsaufträge für die Maskenbeschaffung bei der Firma bisher in Abrede. Der größte Auftrag - die Masken für alle über 65-Jährigen - ging an die Chinesen. Wie die Parlamentsdirektion bestätigte, befinden sich MNS-Masken des heimischen Herstellers Hygiene Austria im Bestand des Parlaments. Diese seien aber nicht direkt bezogen worden. Vielmehr habe es sich um einen "Abruf bei der Bundesbeschaffungsgesellschaft (BBG)" gehandelt. Dort scheint die Firma als einer von mehreren Dutzend Anbietern für die Schutzmasken-Beschaffung auf. Erste Reaktion der BBG auf die aktuellen Geschehnisse: Sie legte den Vertrag auf Eis.
Auf Grund der personellen Verflechtungen zwischen Unternehmen und Politik richtete die SPÖ dennoch eine parlamentarische Anfrage an den Kanzler. SPÖ-Vize-Klubchef Jörg Leichtfried will wissen, ob auch das Kanzleramt Masken der Firma gekauft hat und ob es seitens der Firma diesbezügliche Interventionen gab
Wie viele Masken die BBG bei der Hygiene Austria in Auftrag gegeben hat und für welche Behörden oder staatsnahe Betriebe sie bestimmt waren, wollte die BBG noch nicht verraten. Laut EU-weiter Ausschreibung hat es für den 420 Mio. Euro schweren Auftrag 50 Bieter gegeben.
Millionen Masken im Handel
In besonders hohen Stückzahlen wurden Schutzmasken vom Einzelhandel in Umlauf gebracht. "Wir haben die Berichte mit Sorge zur Kenntnis genommen, weil wir viele dieser Masken bewusst eingekauft haben", erklärte Spar-Sprecherin Nicole Berkmann auf Anfrage der APA. Man habe dazu bereits Gespräche "auf hoher Ebene" geführt. Die von Spar an seine Kunden abgegebenen Masken seien sicher, betonte die Sprecherin. "Wir haben die 100-prozentige Rückverfolgbarkeit, dass die von uns gekauften Masken auf jeden Fall in Österreich am Standort in Wiener Neudorf hergestellt worden sind."
Auch die Rohware stamme aus Österreich, "und es liegen uns auch für unsere Masken Prüfgutachten vor, dass es sich wirklich um FFP2-Masken-Qualität handelt". Daher werde man die Masken wie bisher an Mitarbeiter und Kunden abgeben.
Auch der Rewe-Konzern (Billa, Merkur, Bipa, Penny) hat mehrere Millionen Masken von Hygiene Austria bezogen. "Wir prüfen das derzeit intern und sind in Kontakt mit Hygiene Austria", sagte Rewe-Sprecher Paul Pöttschacher. Momentan seien die Masken weiter im Verkauf, man prüfe die Qualität aber intern via Qualitätsmanagement. Rewe hat Masken auch vom steirischen Produzenten Aventrium, aber auch aus China bezogen.
Der Diskonter Hofer hat ebenfalls Masken von Hygiene Austria bezogen. "Diese mit österreichischer Herkunft deklarierten FFP2-Masken werden seit 26.01.2021 in unseren Filialen verkauft. Da es sich bei der gegenständlichen Untersuchung um einen Verdachtsfall handelt, werden wir die weiteren Entwicklungen beobachten", erklärte eine Sprecherin. Der Diskonter Lidl Österreich hat nach eigenen Angaben keine Masken von Hygiene Austria bezogen.
Masken für Schulen & Co
Masken für die Wiener Volksschulen sind von der "Hygiene Austria" kostenlos zur Verfügung gestellt und von der Stadt Wien, der Wirtschaftskammer und der Bildungsdirektion gemeinsam verteilt worden. Die Opposition fordert weitere Aufklärung insbesondere auch zu möglichen Verteilungen an den Schulen in den Ländern bzw. darüber, inwieweit die Masken im Handel und in Gesundheitseinrichtungen zum Einsatz kamen. Die steirischen Freiheitlichen etwa wollen auch wissen ob die steirische Landesregierung, Sozialhilfeverbände, Gemeinden, Interessenvertretungen oder landesnahe Unternehmen – allen voran die KAGes – Großeinkäufe bei dem unter Verdacht stehenden Unternehmen getätigt hätten.
Hoffnung auf schnelle Aufklärung
Im Ausschuss hofften alle Fraktionen auf eine schnelle juristische Aufarbeitung der Causa. Das Unternehmen hatte von "haltlosen Vorwürfen" der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gesprochen und ihr vorgeworfen, in tagespolitische Auseinandersetzungen hineingezogen zu werden. Die Justiz müsse schnell arbeiten und - je nachdem - schnell anklagen bzw. das Verfahren einstellen, forderte ÖVP-Fraktionschef Wolfgang Gerstl.
Claudia Gigler