Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) warnt vor einer "besorgniserregenden Trendwende": Heute wurde ein neuer Sonntagsrekord an Neuinfektionen verzeichnet: Innen- und Gesundheitsministerium meldeten 2.123 neue Fälle in 24 Stunden ein. Seit Jahresbeginn hatte es an Sonntagen nie mehr als 2.000 Fälle gegeben. Die Sieben-Tages-Inzidenz stieg auf 158.
Schon am Samstag waren 2.457 Neuinfektionen verzeichnet worden. Das ist in etwa das Doppelte der Zahlen vor der Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts und der Öffnung des Handels vor drei Wochen. In Wien wurden am Samstag 769 Infektionen gemeldet. Das ist fast das Vierfache des Werts vom Ende des strikten Lockdowns.
Die Reproduktionszahl stieg auf "alarmierende 1,16" an, berichtete Anschober in einer Aussendung. Auch im Krankenhaus müssen knapp drei Wochen nach den Lockerungen und Schulöffnungen am 8. Februar wieder mehr Patienten behandelt werden. So lagen am Sonntag insgesamt 1.291 Covid-19-Erkrankte in Krankenhäusern. Das waren 25 mehr als am Samstag und insgesamt 29 mehr als vergangenen Sonntag. Einen deutlichen Zuwachs gab es auch auf Intensivstationen. Dort mussten 15 Patienten mehr als am Samstag behandelt werden, insgesamt befanden sich 279 Infizierte in intensivmedizinischer Versorgung. Innerhalb einer Woche wurde ein Zuwachs von neun Prozent verzeichnet - 22 Covid-19-Erkrankte kamen hinzu.
Treiber sind die Mutationen
"Haupttreiber dieser Steigerungen ist die rasche Ausbreitung der stärker ansteckenden Mutationen in ganz Europa, auch in Österreich. In der Mehrzahl der österreichischen Bundesländer dominiert die britische Variante bereits. Da diese ein um rund 30 Prozent höheres Ansteckungsrisiko aufweist, steigen die Infektionszahlen parallel zur Ausbreitung der Variante", erläuterte der Gesundheitsminister. Bei den Mutanten beträgt die Reproduktionszahl sogar schon 1,22.
Zuvor hatte es aus der Regierung noch geheißen, dass die Öffnungsschritte vom 8. Februar mit den damit verbundenen Tests bisher noch keinen massiv ansteigenden Trend in der Entwicklung der Neuinfektionen zeigten. Allerdings seien die Zunahmen der vergangenen Tage mit aller notwendigen Aufmerksamkeit genau zu analysieren und in den Beratungen über weitere Schritte jedenfalls zu berücksichtigen. Man wolle die jetzige stabile Situation nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.
Entscheidend ist vor allem der Blick auf die Spitäler: Ein Anstieg der Intensivpatienten könnte alle Hoffnung auf einen Beginn von einem Ende der Corona-Einschränkungen auf einen Schlag zunichte machen.
Alles wartet auf Experten-Meinung
Die Fachleute, die am Montag ins Kanzleramt geladen sind, kennt man bereits. Am Montag sind unter anderem folgende Experten dabei:
- Oswald Wagner, der "Cheferklärer" vom Wiener AKH
- Herwig Ostermann, Geschäftsführer der staatlichen Gesundheit Österreich GmbH, der regionale Öffnungsschritte in Zusammenhang mit der steigenden Zahl der Mutationen für unverantwortlich hält
- Gerry Foitik, Chef des Roten Kreuzes, für den in Zusammenhang mit dem Mutationen das funktionierende Contact Tracing entscheidend ist
- Virologin Dorothee von Laer, die mit ihrer Forderung nach einer Isolierung Tirols von sich reden gemacht hat
- Epidemologin Eva Schernhammer, die der Regierung zuletzt von einer Öffnung abgeraten hat
- Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin, der schon jetzt vor einem strengen Sommer warnt
Diese Experten werden, wie schon zuletzt, auch bei den Beratungen mit der Opposition sowie mit den Landeshauptleuten dabei sei. Bundeskanzler Sebastian Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober zögern mit einer Öffnung. Zuletzt bekamen sie Rückendeckung von SPÖ-Chef Pamela Rendi-Wagner. Druck macht hingegen die Wirtschaftskammer. Deren Generalsekretär Karlheinz Kopf ist nach wie vor zuversichtlich, dass Gastronomie und Hotellerie ab 15. März aufsperren können. Die Branche habe entsprechende Prventionskonzepte erarbeitet, um ein "sicheres Öffnen" zu ermöglichen.
Die Lage für die Regierung ist einigermaßen kompliziert. Die Wirtschaft macht massiv Druck, z.B. die Gastronomie mit Eintrittstests zu öffnen. Dazu kommen die gesamte Kulturwelt, die wieder ihre Arbeit aufnehmen will. Nicht zuletzt drängen die Sportorganisationen auf Lockerungen im Amateur- und Freizeitbereich. Auch mehrere Landeshauptleute hatten sich in den vergangenen Tagen mit Öffnungswünschen hervorgetan, sowohl aus der ÖVP wie Thomas Stelzer (Oberösterreich) und Johanna Mikl-Leitner (Niederösterreich) als auch aus der SPÖ wie Hans Peter Doskozil (SPÖ).
Schwelle: 7-Tages-Inzidenz von 200
Auf der anderen Seite stehen die medizinischen Experten, die zum größten Teil angesichts der offenkundig ansteckenderen britischen Variante, die das Infektionsgeschehen bereits dominiert, vor Lockerungen warnen. Ganz im Gegenteil hat die Ampel-Kommission sogar eine Rücknahme empfohlen, sobald eine bundesweite Inzidenz von 200/100.000 Einwohner erreicht ist. Mit dem heutigen Sonntag liegt sie bei 158, wobei sie sich in Niederösterreich und dem Burgenland schon der 200er-Marke näherte. Zu beachten ist dabei, dass sich die britische Variante zunächst im Osten breit gemacht hatte.
Einen gewissen Effekt bei der Zunahme der Fallzahlen hat auch der Ausbau der Tests. Österreich führe mittlerweile pro Woche rund 2,5 Millionen Tests durch und befinde sich so im weltweiten Spitzenfeld, freut sich die Regierung.
Tests als Voraussetzung für Öffnung
Die gestiegene Bereitschaft der Bevölkerung, sich regelmäßig testen zu lassen, ist gleichzeitig der Anker für eine mögliche Öffnung: Über entsprechende Bedingungen, wie etwa für den Friseurbesuch, kann diese Bereitschaft noch gesteigert werden. Die Gastro, der Kulturbereich, der organisierte Freizeitsport bieten sich dafür an.
Claudia Gigler