Die Situation sei "sehr komplex", es sei nicht möglich, die weitere Entwicklung vorherzusagen. Weitere Öffnungen könnte man guten Gewissens nur bei stabilen Infektionszahlen und der Gewissheit ankündigen, "dass das auch so bleibt" und sich nicht durch das Abgehen von Maßnahmen verschlechtert, sagt Epidemiologin Eva Schernhammer und pocht auf schnelleres Impfen.
Die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohnern liegt schon wieder bei 150, die geschätzte effektive Reproduktionszahl mit 1,11 klar über dem kritischen Wert. Und mittlerweile hat sich die stark ansteckende N501Y-Mutation breitflächig ausgebreitet.
Das Auftreten der gefährlicheren Mutationen - vor allem der britischen, die südafrikanische sei ganz gut eingedämmt worden - ist für die Leiterin der Abteilung für Epidemiologie der MedUni Wien auch einer der Faktoren, die die Situation jetzt sehr viel schwerer einschätzbar machen als in der ersten Welle. Dazu komme, dass sich die Maßnahmen ständig geändert haben - "harter" Lockdown, Lockerungen wie Präsenzunterricht an Schulen, FFP2-Masken etc.
Auch das breitflächige Testen - das Schernhammer sehr begrüßt - mache die Sache komplexer: Dieses führte auch zur Erhöhung der täglichen gemeldeten Neuinfektionen. "Irgendwann sollte sich das aber einpendeln" - man wisse jedoch nicht wann, und man wisse nicht, wie weit die höheren Fallzahlen auf das Testen und wie weit z.B. auf die Virusmutationen zurückzuführen sind. Dazu komme der ebenfalls nicht wägbare Einfluss der Immunität: Die Schätzungen der Anzahl der Menschen, die durch eine durchgemachte Erkrankung immun sind, liegen zwischen sieben und 30 Prozent.
"Die Situation ist sehr volatil, man kann nicht vorhersagen, in welche Richtung sie sich verändert", konstatiert Schernhammer. Um ein Öffnungsdatum zu nennen, bräuchte man "einen ziemlich guten Polster an Sicherheit". Den werde man aber wohl nur durch die Impfungen erreichen. Diese müssten "wesentlich beschleunigt" werden: "Das oberste Prinzip müsste Impfen so schnell wie möglich sein", plädierte Schernhammer für intensive Bemühungen um mehr Impfstoff.
Dass zuerst die Risikogruppen geimpft wurden, sei sehr sinnvoll. Damit sei zumindest die Gefahr, dass die Intensivstationen überlastet werden, geringer geworden - auch wenn derzeit die Zahl der Intensivpatienten mit rund 260 schon wieder so hoch ist wie Mitte Oktober. Ein "Lichtstrahl" ist für Schernhammer da, dass das Durchschnittsalter der Neuinfizierten deutlich gesunken ist, von 56,7 Jahren zu Corona-Spitzenzeiten auf nunmehr 39,9 Jahre.